Anmarsch zum 20.Oktober – finaler Teil IV

Ab nächster Woche beschäftigt sich der hier Schreibende/Bloggende mit Leos Janaceks zweitletzter Oper, der «Sache Makropulos», die eben in Zürich Premiere hatte. Am 14.Oktober, ergo sechs Tage vor Bekanntgabe der Wahlergebnisse dann die Kritik zur Zürcher Inszenierung. Darum, und auch weil nun wohl die Couverts mit den Wahl-Unterlagen in allen Haushalten eintrudeln, hier der finale Teil.

Sir Karl R. Popper geht in seinem monumentalen Werk «Die offene Gesellschaft und ihre Feinde» auf philosophische Weise der Frage nach, wie und warum es zur Barbarei der Diktaturen des 20.Jahrhunderts und damit zu Völkermord und Holocaust kam. Sir William Golding beschäftigte sich als Lehrer, Offizier und Schriftsteller zur gleichen Zeit wie Popper mit derselben Frage und verarbeitete seine Antwort im erschütternden und zeitlosen Roman «Lord of the flies». Beide Werke sind zugleich Warnung, dass unter bestimmten gesellschaftlichen Bedingungen sich Diktatur, Barbarei und Völkermord wiederholen könnten. Sie lassen den Leser mit der Frage zurück, was er persönlich dagegen unternehmen kann.

Ich erlaube mir die Frechheit, die beiden Hochgelehrten zusammenzufassen:

a) Dass ein Volk der «Denker und Dichter» zum Volk der «Henker und Richter» wurde, dass besterzogene englische Schuljungs zu bestialischen Mördern werden, ist jederzeit möglich, wenn es skrupellosen Demagogen, die es in jeder Gesellschaft gibt, gelingt, die Macht an sich zu reissen und die demokratischen Strukturen auszuhebeln.
b) Dazu braucht es eine Notlage der Mehrheit der betroffenen Gesellschaft (Arbeitslosigkeit und Geldzerfall in der Weimarer Republik, das Ausgesetztsein auf einer Insel ohne Chance auf Rettung), die Ortung eines diffusen Feindes (das «Tier») und die Schuldzuweisung an eine bestimmte, meist intellektuell verortete Gruppe (die Juden, Piggy, die «Linken und Netten»).
c) Die Barbarei beginnt subtil, im Erniedrigen der demokratisch gesinnten Kräfte, und geht, wenn es gelingt, dass ein Demagoge zum Alleinherrscher bzw. eine Partei zur einzigen erklärt wird, in Überwachung, Verhaftung, Folter und Mord über. Die schweigende Mehrheit hat in solcher Lage nicht mehr den Mut, sich zu wehren und trägt das Unrecht mit.

Es folgert zu allen Zeiten: Wehret den Anfängen. Diese Anfänge sind immer dann gegeben, wenn politische Gruppen und Parteien in die Verhaltensweisen verfallen, die typisch für das unter a)-c) Gesagte sind: Menschenverachtung, Schlechtmachen der wissenschaftlichen und politischen Eliten, Definieren eines/r bestimmten Schuldigen/Gruppe von Schuldigen, populistische Rhetorik, Ruf nach «law and order», Infragestellung der Menschenrechte und der Institutionen, die sie schützen etc.etc.
Und nun geht wählen!

Heinz Angehrn

Kirche Schweiz – katholisch, aktuell, relevant

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