Stephen Kings Trump-Amerika

Wenn man(n) einen Autoren über so viele Jahrzehnte begleiten darf (oder begleitet der Autor einem?), wie es meine persönliche Geschichte mit dem erfolgreichsten Horror-, Fantasy- und SciFi-Literatur unserer Zeit dokumentiert (in den 70er Jahren stolperte ich zunächst über den Erzählungsband «Nachtschicht» und blieb im King’schen Universum für immer stecken), dann fällt unter vielem anderem auf, dass nicht nur die «grosse» Literatur das Zeitgeschehen (politisch, wirtschaftlich, gesellschaftlich) widerspiegelt (denken wir etwa an die «Räuber», den «Zauberberg» oder «Effie Briest» – unendlich fortzusetzen…), sondern auch die triviale.

Seit die barbarische Nation jenseits des grossen Teiches (»the best went lost on the ships» – ich schrieb dazu ganze Blog-Serien, «hic barbari sunt») sich (nicht mit mathematischer Mehrheit!) einen Menschen zum Präsidenten erwählt hat, der als mixtum compositum von Erdogan, Göring und Doctor Frankenstein einzuordnen ist, hat Stephen King bis jetzt (nach der brillanten Bill Hodges-Trilogie, die die Obama-Jahre begleitete) zwei bezeichnende Werke neu geschrieben: den Roman «The Outsider», eine indirekte Fortsetzung der Trilogie, in dem er die damalige tragende Rolle Holly Gibney zu neuem Leben erweckte, und die Novelle «Elevation» (»Erhebung»). Wie immer bei King geht es um unerklärliche Phänomene, im einen Fall um ein zeitloses Monster, das als körperlicher Doppelgänger von unschuldigen Drittpersonen Kinder bestialisch ermordet und sich von negativen Gefühlen nährt, im anderen um einen Menschen, der sein ganzes physisches Gewicht verliert, ohne dabei die Körperlichkeit zu verändern (also gerade nicht eine zweite Fassung von «Thinner» aus dem Jahr 1984). Das Ende beider Geschichten möchte ich hier im Detail nicht verraten, das wäre zu schade. Lest/Lesen Sie doch selber!

Aber: Das aktuelle Trump-Amerika, bzw. die 46,1%-Wählerschaft von 2016, die soziologisch mit Termini wie «white trash» bzw. «Verlierer der Globalisierung» bezeichnt werden kann, findet sich in der Form der Bevölkerung von zwei imaginären amerikanischen Kleinstädten, dem uns Kingianern mehr als gut bekannten Castle Rock in Maine und der Neuerfindung Flint City irgendwo im mittleren Westen. Beide haben im King-Universum 2016 mit grosser Mehrheit Trump gewählt, und beide dokumentieren eine Geisteshaltung, die Karl R.Popper sehr bekannt gewesen wäre (hätte er King gelesen, was ich nicht glaube…).

In «Elevation» geht es um die subtile Ausgrenzung von Menschen, die, weil sie einer Minderheit angehören und auch dazu stehen (in dem Fall ein lesbisches Paar, das geheiratet hat und in Castle Rock in Restaurant führt); in «The Outsider» um das Massenverhalten des homo non semper sapiens (gegenüber einem Verdächtigen, der des Kindermordes beschuldigt wird, aber noch nicht verurteilt ist), der als Mob nicht nur Vorverurteilungen vornimmt, sondern auch noch heute zur Lynch-Justiz fähig wäre. King lässt uns in die Gesichter von (weissen) Trump-Wählern sehen, und wir erschrecken, weil uns das durchaus plausibel erscheint.

In einer abschliessenden Würdigung von Stephen King (der aber immer noch weiter schreibt) wird wohl einst stehen, dass kaum einer wie er die soziologisch-seismischen Schwingungen seiner Welt ganz konkret und verständlich abzubilden verstand.

Heinz Angehrn

Kirche Schweiz – katholisch, aktuell, relevant

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