Mark Zuckerberg: Vom Saulus zum Paulus?

Neuerdings will Facebook eine Verfechterin der Privatsphäre werden. An der Entwicklerkonferenz F8 von Anfang Mai in San Jose, Kalifornien, erklärte Mark Zuckerberg, er wolle die Privatsphäre ins Zentrum aller Plattformen der Facebook Familie stellen: Jede Kommunikation solle in Zukunft eine End-zu-End-Verschlüsselung erhalten. Ist Zuckerberg vom Saulus zum Paulus geworden? Wenn man genauer hinschaut, ist diese Umkehr nicht wirklich glaubhaft.

Nach dem zweifelhaften Umgang mit Daten im Umfeld der Cambridge-Analytica-Affäre und den darauffolgenden Hearings vor der US-Senats-Kommission im Frühjahr 2018 konnte sich Zuckerberg noch elegant aus der Affäre ziehen. Es entstand jedoch der Eindruck, dass die Senatoren das Geschäftsmodell von Facebook nicht verstanden haben. Die alten Männer sind dem jungen Fuchs nicht auf die Schliche gekommen.

Facebook Business-Manager: ein wunderbares Tool mit ungeahnten Möglichkeiten

Die Sammlung von Daten in der Grössenordnung von mehr als 2 Milliarden Nutzern ermöglicht es Facebook, ein grosses Potential an Werbemöglichkeiten abzuschöpfen. Wer einmal mit dem Business-Manager von Facebook gearbeitet hat, erahnt in groben Zügen, wie weitreichend dieses maschinelle Verfahren ist. Das «Targeting», d.h. das zielgenaue Ausspielen von Botschaften, lässt das Herz jedes Online-Marketingspezialisten höher schlagen. Themeninteressen, demografische und lokalisierbare Kontextdaten lassen sich dermassen einfach kombinieren, dass mit moderatem Mitteleinsatz eine genau berechnete Zielgruppe ansprechbar ist. Das ist vor allem durch die sog. «Look alike audience» zu erreichen. Der Business-Manager findet über Algorithmen diejenigen Menschen auf Facebook, die sehr genau auf jene passen, die bisher einer Grundgesamtheit von bestehenden Nutzerdaten entsprechen. Diese Ähnlichkeit von aggregierten Daten genügt, um zielgenau zu werben. Doch dies ist erst der Anfang. Sobald der Prozess des Targeting in Gang kommt, folgt das «Retargeting». Durch eine Vielzahl von Messtools, Cookies und Analyse-Instrumente können Internet-Nutzende über verschiedene Websites und Webplattformen verfolgt und mit dem richtigen «Call to Action» bedient werden. Ob es um den Kauf eines Produkts oder das Sammeln von Unterschriften für eine Petition geht, spielt keine Rolle. Der Mechanismus ist weitgehend identisch.

Was wird geschehen? – Die Macht der «Predictive Analytics»

«Predictive Analytics» heisst das Zauberwort. Werfen wir einen Blick auf das Schema von Gartner, einem weltweit agierenden Marktforschungsunternehmen. Gartner unterscheidet vier Arten der Datenanalyse: von der deskriptiven und diagnostischen über die voraussagende Analyse bis zur vorausgestaltenden Analyse. Was bedeutet dieser Weg des maschinellen Lernens von der Vergangenheit in die Zukunft?

 

Abb. Vier Arten der Datenanalyse nach Gartner, Quelle: computerwoche.de

Aus der grossen Menge von Daten kann zukünftiges Verhalten von Kunden extrapoliert werden. Diese Erkenntnisse sind für zielgerichtete Instrumentalisierung nutzbar. Dabei geht es nicht – wie eine weit verbreitete Meinung lautet – um Daten von einzelnen Personen, die unrechtmässig offengelegt werden. Nein; es geht darum, dass diese Daten im übergreifenden Sinne eine Verhaltenstendenz anzeigen. Von politischen und unternehmerischen Akteuren wird dieses Verfahren ohne Skrupel ausgenutzt. Und Facebook ist dabei ein williger Gehilfe.

Wie können wir es in Gang setzen? – Die unheimliche Macht der «Prescriptive Analytics»

Wenn Mark Zuckerberg nun das hohe Lied der Privatsphäre singt, ist das zumindest ein gefährlicher Schalmeienklang. Die Privatsphäre soll gewährt sein, damit in Zukunft weiterhin ungehindert Daten zusammengetragen, aggregiert und «Predictive Analytics» betrieben werden kann. Da muss ein kritischer Beobachter schon fragen, ob das Verhalten des Facebook-Gründers wirklich eine Umkehr bedeutet? Saulus fiel vor Damaskus geblendet vom Pferd und wurde zu Paulus, dem grossen Apostel des Christentums. Diese Umkehr trauen wir Zuckerberg nicht zu. Denn sein Imperium umfasst derzeit eine unglaubliche Datendichte: Mit Facebook, Facebook Massenger, Instagram und Whatsapp verfügt der Konzern über eine Datenmacht, die weltweit seinesgleichen sucht. Der Schritt von der Verhaltensprognose zur Verhaltensbeeinflussung ist da nicht mehr weit. Bleiben wir also bei Saulus, dem Christenverfolger: Zuckerberg jagt weiterhin nach Metadaten und wird dies mit maschinellem Lernen in den kommenden Jahren weiter perfektionieren. Der Weg von den «Predictive Analytics» zu den «Prescriptive Analytics» ist dann nicht mehr weit. Zukunft gestalten durch Erkenntnisse aus dem Data Mining: Das ist der Traum der Tech-Generation aus dem Silicon-Valley. Sobald dies gelingt, werden wir Saulus nicht mehr los. Auf den Paulus warten wir dann bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag.

Für eine Ethik des digitalen Wandels

Auch die Kirchen tragen hier eine Verantwortung: Sie wirken bei Facebook und anderen Webplattformen mit. Sie sind Teil der strukturellen Sünde, die heute «Datensammlung und Datenauswertung» heisst. Wir brauchen dringend eine Ethik des digitalen Wandels. Diese beginnt mit der Erkenntnis, dass Facebook mit seinen Plattformen niemals ein Raum des Privaten sein wird, sondern immer ein Unternehmen, das die Zukunft technokratisch gestalten will. Dies ist eindeutig zu benennen und zu kritisieren. Nur so können wir dem Zeitalter des maschinellen Lernens auf Augenhöhe begegnen.

 

Kirche kommuniziert

Kirche Schweiz – katholisch, aktuell, relevant

https://www.blogs-kath.ch/mark-zuckerberg-vom-saulus-zum-paulus/