Ich brauch doch meine Stille! Generationenkonflikt im Gottesdienst

Meditation und Stille – Grundpfeiler christlicher Existenz. Oder so ähnlich. In «meiner» Pfarrei warte ich noch auf den Tag, an dem meditative Übungsangebote wegen zu grosser Nachfrage ergänzt werden müssen, aber an einem Ort legen einige Gemeindemitglieder offensichtlich grossen Wert auf Stille: Ausgerechnet im Sonntagsgottesdienst. «Ausgerechnet» deshalb, weil dieser Gottesdienst auch erfreulicherweise von jungen Familien besucht wird. Die haben Kinder. Und manchmal kommen die mit in den Gottesdienst. Und weil Erziehungsstile und auch Kinder-Persönlichkeiten unterschiedlich sind kann es dann vorkommen, dass der Gottesdienst etwas lebendiger wird als geplant. Weil ich etwa während meiner Predigt um die Aufmerksamkeit der Zuhörenden konkurriere mit einem kleinen Prinzen, der gerade laufen gelernt hat und jetzt stolz den Altarraum erkunden will.

Dass das nicht zur Konzentrationsfähigkeit derjenigen Mitfeiernden beträgt, die für Stille und Meditation gekommen sind, ist klar. Ab und zu mal kommt es dann vor, dass eine Vertreterin (es ist immer eine Frau ;-)) der etwas älteren Generation das Problem auf ihre ganz eigene Weise zu lösen versucht: Da werden ungefragt Erziehungsratschläge an die Eltern verteilt, erstaunlicherweise auch mit Empfehlungen für genau die Verhaltensweisen, die der Generation der Ratgeberin bis heute Gottes- und Kirchenbild verdunkeln. Wenn diese im Rat gipfeln, dass doch die Eltern mit ihren Kindern zu Hause bleiben sollten, weil so ein Sonntagsgottesdienst nichts für sie sei, dann werde sogar ich zur Verfechterin der Sonntagspflicht. Kindgerechte Gottesdienstformen sind super, aber wo die nicht verfügbar sind, oder wo Eltern mit ihren Kindern einen «normalen» Gottesdienst besuchen möchten, da sind sie selbstverständlich willkommen. Finde ich.

Ein Sonntagsgottesdienst ist nämlich an sich keine Meditationsstunde. Das wusste schon Jesus, der laut Bibel gern und viel allein gebetet hat, in Stille, bevorzugt auf einem Berg. Aber wenn er zum Sabbat-Gottesdienst in die Synagoge kam, wurden schon mal laut schreiende Dämonen ausgetrieben. Oder es kam zu Meinungsverschiedenheiten über Heilungen, die an Ort und Stelle ausgetragen wurden. Ob Kinder damals in den Gottesdiensten dabei waren, weiss ich nicht. Aber die Erwachsenen scheinen lautstark genug gewesen zu sein.

Und wer befürchtet, aufgrund zu vieler Ablenkungen womöglich Gott zu verpassen, dem würde ich sagen: Natürlich ist es einfacher, Gott in der Stille zu finden. Aber keine Sorge – Gott findet uns überall. Und er ist vermutlich genauso beeindruckt von uns, wenn wir es eine Stunde in Gesellschaft nervtötender Kleinkinder aushalten, wie wenn wir dieselbe Zeit in konzentrierter Andacht verbringen (noch beeindruckter dürfte er allerdings von den Eltern dieser Kinder sein 🙂 ).

Also: Wenn Ihnen Stille und Meditation wichtig sind, super! Das ist richtig. Und gut. Nehmen Sie sich Zeit dafür, unbedingt. Wenn nötig, reservieren Sie dafür einen Termin in Ihrem Kalender. Aber nicht denselben wie den Sonntagsgottesdienst in Ihrer Gemeinde. Da gehen Sie nämlich hin für die hervorragende Gelegenheit, wenn Sie abgelenkt und genervt sind, sich zusammen mit allen anderen von Gott in aller Unvollkommenheit finden zu lassen.

Karin Reinmüller

Kirche Schweiz – katholisch, aktuell, relevant

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