Das unterdrückte Weibliche

Vor wenigen Tagen schaute ich mir den Film «Female Pleasure» im Kino an. Seit Jahren beschäftige ich mich mit Frauenthemen, namentlich mit der Gleichstellung der Frauen in Kirche und Gesellschaft. So wusste ich durchaus, was auf mich zukommen würde. Aber was mich während des ganzen Filmes doch immer wieder schockiert hatte, war die subtile Art und Weise, wie Frauen unterdrückt werden. Es beginnt bereits bei der frühkindlichen Erziehung. Töchter in Indien etwa werden als Schande angesehen. Dies spüren sie ihr ganzes Leben lang.

Frau als Gefahrenquelle

Die Unterdrückung der Frau, die Schlechterstellung des Weiblichen ist nicht nur in Religionen zu finden. Dies zeigt der Film deutlich. Die Ungleichberechtigung zieht sich durch sämtliche Gesellschaften und Kulturen hindurch. «Female Pleasure» zeigt auf, dass in vielen Kulturen und Religionen die Frau als Gefahr angesehen wird. Auch in der katholischen Kirche hört man diese krude Vorstellung immer wieder heraus. Denn es war ja schliesslich Eva, welche die verbotene Frucht gegessen hatte. In vielen muslimischen Kulturen werden die Genitalien von Mädchen verstümmelt. Es ist nicht nur ein körperlicher Eingriff, also Missbrauch, sondern dient vor allem der Unterdrückung des Weiblichen, sagt Leyla Hussein, die selbst als Mädchen eine Genitalverstümmelung über sich ergehen lassen musste und seit Jahren Aufklärungsarbeiten leistet. Frauen haben kein Recht auf eine eigene Sexualität. Sie dürfen keine Lust empfinden, sondern sollen nur Kinder zur Welt bringen, so Leyla.

Männer sexuell zu schwach

Ebenso die Jüdin Deborah Feldman, die in der ultraorthodoxen Gemeinde von New York aufwuchs, wurde als «Gebärmaschine» behandelt. Auch in Indien werden Frauen und Mädchen als Sexualobjekte betrachtet. Die Protagonistin Vithika Yadav sagt, dass Mädchen sich selbst hassen – weil ihnen in Familie und Schule kein Selbstwertgefühl vermittelt wird. Wenn Frauen oder Mädchen dort etwas zustösst, ist es ihre Schuld. Das gleiche erlebte auch die Katholikin Doris Wagner. Als Mitglied einer neuen geistlichen Bewegung lebte sie jahrelang als Ordensschwester in einem Kloster im österreichischen Vorarlberg und in Rom. Ihr wurde über Jahre hinweg der Wille gebrochen und eingeredet, dass sie ihren Körper verhüllen müsse, weil die Männer sexuell zu schwach seien, um den weiblichen Signalen zu entkommen. Als Frau wurde sie nur auf Reize reduziert und hatte auch die Verantwortung zu tragen, wenn ihr etwas zustössen würde. Und das tat es auch. Sie wurde von einem geweihten Priester mehrmals vergewaltigt. Als sie die Tat bei der vorgesetzten Schwester nach langem Zögern meldete, wurde ihr nicht wirklich geglaubt. Der Täter wurde flugs versetzt und arbeitet noch heute in der vatikanischen Glaubenskongregation.

Gestörtes Verhältnis zum Körper

Für mich war sehr frappant, dass die fünf Protagonistinnen des Films trotz ihres völlig unterschiedlichen religiös-kulturellen Hintergrundes genau dieselben Erfahrungen gemacht haben. Sie alle erleben in ihrer Kultur und in ihrer Religion die Unterdrückung des Weiblichen. Ihre weibliche Sexualität wird kontrolliert oder tabuisiert. Frauen in Japan schämen sich gar für ihre Genitalien. Das Gefühl der Scham wird ihnen schon früh eingeimpft. Das Weibliche wird als weniger gut angesehen. Frauen dürfen sich noch heute in vielen Gesellschaften nicht selbst definieren. Sogenannte Glaubenslehrer schreiben ihnen vor, wie Frauen sich zu benehmen und zu kleiden haben. So sind Frauen im Judentum heilig und böse zugleich. Die meisten Frauen im ultraorthodoxen Judentum, so beschreibt es Deborah Feldmann, haben ein gestörtes Verhältnis zu ihrem Körper.

«Female Pleasure» fordert heraus

Der Film vermag deutlich aufzuzeigen, dass die Religionen dazu missbraucht werden, um patriarchale Machtsysteme aufrechtzuerhalten und Frauen zu unterdrücken. Ein Wunsch, den alle fünf Protagonistinnen teilen: Frauen sollen ebenso sexuelle Menschen sein dürfen, deren Körper als genauso wertvoll und heilig angesehen wird, wie derjenige des Mannes. Ebenso zeigt der Film, wie die fünf Frauen sich auf ihre Art und Weise für ein gleichberechtigtes und respektvolles Miteinander unter den Geschlechtern einsetzen.

Ich wünsche mir, dass «Female Pleasure» herausfordert, zum Nachdenken anregt und zur Gleichberechtigung von Mann und Frau beiträgt. Ein Film, der nicht nur für Frauen ist, sondern vor allem auch für Männer – denn nur gemeinsam kann eine gerechtere Gesellschaft verwirklicht werden.

 

 

Jacqueline Straub

Kirche Schweiz – katholisch, aktuell, relevant

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