Kreuzfeuer – oder die Gefahren einer Chance I

Es ist ein fröhlicher, warmer Frühlingsmorgen. Die Anruferin ist freudig erregt, dazu hat sie auch allen Grund. Es ist ihr Geburtstag den sie heute feiert. Sie bedankt sich für die Geburtstagskarte die ich ihr geschickt hatte. Als wir uns bereits verabschiedet hatten, ruft sie noch mit fröhlicher Stimme ins Telefon: «Hast du gehört?! In Bayern müssen jetzt überall in der öffentlichen Verwaltung wieder Kreuze aufgehängt werden, das haben sie gestern im Radio gesagt! » Ich erwiderte ihr, dass ich davon gelesen hätte und wünschte ihr nochmals einen wunderschönen Tag. Was bleibt, ist ein schaler Nachgeschmack.

Der Nachgeschmack kommt aber nicht von ihrem freudigen Ausspruch. Der war schon da, als ich die Nachricht zuerst auf Twitter las und später noch in verschiedenen Artikeln.

Ein ungutes Gefühl beschlich mich und ist dageblieben. Dabei ist es auch mir persönlich wichtig, das Kreuz Christi. Dazu fällt mir eine Begebenheit ein, wo mir selber klar wurde, wie wichtig mir das Symbol für meinen Glauben sein kann.

Vor einiger Zeit nahm ich mit meiner Familie an einem ökumenischen Abendgebet in einer Kirche in unserem Quartier teil. Als wir ankamen, wurden wir drinnen warm und persönlich empfangen. Der Pfarrer reichte uns ein Liedblatt und erklärte uns, wie der Abend ablaufen würde. Im Kircheninnern erwarteten uns ein Stuhlkreis und eine gestaltete Mitte mit farbigen Tüchern und einer friedlich flackernden Kerze. An der hohen Rückwand hinter der Kerze hingen vier gleichgrosse riesige quadratische Bilder. Sie waren gleichmässig angeordnet. Der Künstler hatte um ein Holzraster herum Bänder aus grobem, grau-metallischem schimmerndem Gewebe gewickelt. Trotz der grauen Farbe wirkte es durch die Textur nicht kalt. Die vier Bilder, so schien es mir, dominierten den Raum.

Während ich still wurde um mich für das Gebet bereit zu machen und mich in Gottes Gegenwart zu stellen, suchten meine Augen wie von selbst nach einem vertrauten Symbol für Jesus Christus. Kein Kreuz, keine Ikone war im Kirchenraum zu finden.

Doch ich nahm es über mein Suchen wahr. Ich merkte, dass ich, statt mich auf das kommende Gebet vorzubereiten, mich nur noch suchend im Raum umsah. Mir war dabei nicht bewusst, was meine Augen suchten. Erst allmählich wurde mir klar, dass ich nach einem Ankerpunkt für meine Ausrichtung auf Gott suchte. In meiner Gebetsecke zu Hause habe ich ein kleines Standkreuz aus Olivenholz, das ich vom Monte Cassino nach Hause gebracht hatte. Darauf richte ich meinen Blick, bevor ich mich in Mediation und Gebet vertiefe. Das Fehlen dieses Symbols irritierte mich also damals und noch viel mehr irritierte mich diese Irritation. Nie zuvor war mir das bewusstgeworden. Kaum erkannte ich dies, konnte ich mich gut ohne dieses Symbol auf Gott ausrichten.

Das Kreuz, es ist in meinem Innern. Es verläuft in der Senkrechten über mein Rückgrat und in der Waagerechten von Schulter zu Schulter. Als gläubiger Christ nehme ich Haltung ein. Ich stehe aufrecht und gestärkt in der Gegenwart Gottes. Das Kreuz ist wichtig für mich. Deshalb reagiere ich auf die Nachricht aus Bayern mit einem starken, inneren Wiederstand. Die gleiche Reaktion übrigens, wie auf die Diskussion über die Abschaffung der Gipfelkreuze und beim Minarett – Verbot.

Menschen die glauben, sehen in ihren Symbolen Zeichen für Ihre Hoffnung, für Ihren Weg zu einem gelingenden Leben. Sie wenden sie nicht an um andere auszugrenzen, um andere zu verletzen. Das ist nicht Glaube, das ist Instrumentalisierung von Symbolen. Es ist ein Missbrauch zur Kommunikation von gewalttätigen Inhalten die ausgrenzen, verdrängen und vernichten wollen. Das hat mit Glauben nichts zu tun.

Was hilft ein in Bayern aufgehängtes Kreuz, wenn es dem, der es an die Wand nagelt nichts bedeutet? Er es nur als ein Zeichen gegen Menschen, gegen Glaubensfreiheit und gegen die Würde des Einzelnen missbraucht?

Es wird gefährlich und ich frage mich, wie lange es dauert, bis dieses Kreuz zum Bösen mutieren wird. In wieweit wird diese Gefahr von den Befürwortern und Beifallklatschern in Kauf genommen? Ich kann nicht umhin zu befürchten, dass es genau so kalkuliert wurde. Dazu passt der Artikel den ich vor kurzem gelesen habe. Es war ein Augenzeugenbericht eines Holocoustüberlebenden der zur Zeit der Annektion durch die Nazis in einem österreichischen Dorf lebte. Er sagte darin, dass ihm am meisten blieb, wie über Nacht plötzlich an allen Fenstern des Dorfes die Hackenkreuz-Flagge hing. Und dass dies vor allem etwas aussagte: Die Flaggen waren schon lange vorher da. Sie waren da und warteten darauf aufgehängt werden zu können.

In Bayern ist jetzt in jedem öffentlichen Gebäude ein Nagel eingeschlagen. Was wird in Zukunft daran hängen?

Anna Di Paolo

Kirche Schweiz – katholisch, aktuell, relevant

https://www.blogs-kath.ch/kreuzfeuer-oder-die-gefahren-einer-chance-i/