Basel-Taizé-Ost-Berlin

Das 4o. Europäische Jugendtreffen ist heute in Basel zu Ende gegangen. Jugendliche aus ganz Europa steigen nun in Busse, Züge oder in den Flieger und machen sich auf den Weg nach Hause. Die meisten wohl mit einem leichten Silvesterkater, gut gefülltem Magen vom Essen mit ihrer Gastfamilie und ganz sicher mit vielen neuen Eindrücken von einem ihnen zuvor fremden Ort. Ein Europäisches Taizé-Treffen ist eine ganz formidable Gelegenheit, die Kultur, die Bräuche, die Mentalität und die Geschichte einer Stadt bzw. eines Landes kennen zu lernen. Und gerade in den Ortskirchen, wo sich viel abspielt an diesen Treffen, kommt all dies zusammen. Und bei nicht wenigen eröffnen sich neue Horizonte.

Bei diesem Taizé-Treffen in Basel schloss sich bei mir und wohl auch bei anderen ein besonderer Kreis. In Kurzform: Bei meinem ersten Aufenthalt 1986 in Taizé, – die Strassen waren damals noch verstaubt, auch sonst gab es wenig Komfort -, traf ich erstmals auf Leute aus der DDR. Republik-Flüchtlinge, die in Taizé berichteten, wie es hinter dem Eisernen Vorhang aussah. Das elektrisierte mich total. Brieffreundschaften entstanden. Es gab erste «knisternde» (gemeint ist die schlechte Leitung) Telefonate nach drüben. Dann kam im Mai 1989 in Basel die grosse ökumenische Versammlung «Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung», massgeblich angestossen vom Physiker Carl-Friedrich von Weizsäcker, der in den 80er-Jahren mit seinem Buch «Die Zeit drängt» für Gesprächsstoff sorgte. An dieser Versammlung war auch eine offizielle Delegation aus der DDR dabei. Auch dort entstanden persönliche Kontakte. Der sich auflösende Osten, das war für mich und auch für viele andere, die sich für diese Gegend Europas interessierten, zu der Zeit das grosse aufregende Ding.

Sehr nahe erlebte ich diesen Transformationsprozess, der im Revolutionsherbst 1989 und dem Mauerfall in Berlin mündete, mit Teilnehmern an den Europäischen Jugendtreffen in den 80er-Jahren. Als ich gestern im Zug von Basel nach Baden sass und die vielen Polen sah, war mein erster Gedanke: Wie normal und selbstverständlich das heute alles ist! Heute tragen alle dieselbe Kleidung, sehen House of cards und hören auf ihren iPhones dieselben Songs. Alles hat sich angeglichen. Unvergessen aber sind mir die Erinnerungen an die Treffen in Prag (1990), Budapest (1991) und Wroclaw (1996) , als noch alles anders roch  (Kohlenstaub), schmeckte (deftige Ost-Küche), das Bahngleis ratterte, Trabis und Ladas die Strassen verstopfen und slawische Schriften exotisch aussahen. Es war die Zeit, als sich der Kommunismus verabschiedete und das Neue noch nicht da war. Für diese Taizé- Generation war das eine unglaubliche Entdeckungsreise auf die «schwarze Seite des Mondes». Und plötzlich kamen statt 25 000 Leute 150 000.

Auch bei den nachfolgenden Treffen konnte man an Europäischen Taizé-Treffen nahe am Puls der Zeit sein: Sei es in Städten, die die Folgen der Osterweiterung spürten oder sonst vor grossen Umwälzungsprozessen (Gentrifizierung) standen wie etwa Barcelona, Brüssel und Berlin. (Als Berlin-Schweizer hat mich dieses Treffen 2011 natürlich besonders gefreut.)

Die Grüne-Politikerin Kathrin Göring-Eckhardt traf ich übrigens 2005 am Grab von Frère Roger. Auch sie reiste damals im Sonderbus vom Weltjugendtag in Köln nach Taizé, damit sie an seiner Beerdigung teilnehmen konnte. Seine Ermordung war auch für mich ein gewaltiger Schock.

All die Erlebnisse mit der Kommunität von Taizé würden diesen Blog sprengen. Nur drei Dinge noch: Die in Taizé und Basel gemachten Kontakte mit Leuten aus der DDR führten dazu, dass ich 1990  in Ost-Berlin hängen blieb.  Und gestern traf ich im Basler Münster während der Taizé-Andacht Lukas Kundert, Kirchenratspräsident der evangelisch-reformierten Kirche Basel-Stadt, mit dem ich mich gemeinsam an die erste ökumenische Versammlung in Basel im Mai 1989 erinnerte. Und ja, noch dies: Das Titelbild dieses Blogs ist nicht unbedingt berauschend, aber es hat für mich eine wichtige Bedeutung. Es zeigt die Versöhnungskirche in Taizé im September 1986. Die Aussenfront stand da noch, alle Besucher fanden in ihr Platz. Nach 1989 wurde sie herausgebrochen, weil in Mitteleuropa die Dämme brachen. Der Rest ist Geschichte.

Vera Rüttimann

Kirche Schweiz – katholisch, aktuell, relevant

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