Der bewegte Christ – oder der abgeheftete Glaube

Paulus, das wissen wir alle, war nicht faul. Er reiste viel und schrieb oder diktierte Briefe in alle Himmelsrichtungen. Seine Briefe sind uns überliefert, wir lesen sie in der Bibel und hören sie in den Gottesdiensten. Sein Zeigefinger zeigt mal auf diese Missstände und mal auf jene, und manchmal, so kommt es mir vor, auch direkt auf mich. Hm. Dann habe ich etwas zu kauen. Seine Worte können so treffen, so betroffen machen.

Was für ein Bild habe ich von Paulus? Es stehen einige zur Verfügung: das Image vom «Moral-Apostel» oder vom «Oberlehrer». So ungefähr käme es hin, wäre da nicht auch noch die andere Seite, die ich eher zwischen den Zeilen wahrzunehmen vermag.

Der bekehrte Paulus. Der unermüdliche Paulus. Der reisende Paulus. Der schreibende Paulus. Der glaubende Paulus. 

Paulus ist eine Art «Model-Christ», er lebt es allen vor und verbreitet und verteidigt das Evangelium standhaft und unermüdlich. Er nimmt die Botschaft unter die Füsse und reist bis in abgelegene Winkel, hilft Gemeinschaft aufzubauen und unterstützt diese mit seinem Zuspruch und Korrektiv in seinen Briefen. Es bilden sich Netzwerke, in denen die Briefe untereinander ausgetauscht und weitergereicht werden. Diese Papyri gaben den Menschen im frühen Christentum halt. Sie wurden in den Versammlungen vorgelesen und stellten die Wissensgrundlage über den, der da – nicht einmal eine Generation vor ihnen – mit Jesus Christus in die Welt kam und regten damals wie heute die Menschen an, IHM nach zu folgen. 

Worin kann also Paulus für mich Vorbild sein, sogar als oder eben auch als Frau? Als erstes denke ich an seine Standhaftigkeit. Christsein ist Glaube UND eine innere Haltung. Für diese Haltung muss ich einen festen Stand auf festem Grund haben. Worauf stelle ich denn meinen Glauben? Zum Beispiel auf die Bibel, auf die Theologie, ja. Und für mich ganz wichtig: auf die Gemeinschaft.

Diese Botschaft, die Paulus auf seinen Reisen und in seinen Briefen verkündet ist zweifach Adressiert: sie richtet sich an mich, das Individuum und gleichzeitig an die Gemeinschaft.

Was die Gemeinschaft zur Paulus’ Zeiten war, können wir recht gut aus seinen Briefen lesen. Und wo lesen wir, was die Gemeinschaft heute ausmacht? Etwa in Statuten, Reglements, Stellenbeschrieben, Liturgieplänen, Listen und Pflichtenheften?

Oder aber in den Gesichtern, die wir sonntäglich in unseren Zusammenkünften um den HERRN zu loben und IHM zu danken, in der Eucharistie und in der Wortgottesfeier, wo wir hin stehen und lebendig Zeugnis geben, dass das Leiden Christi nicht spurlos an uns vorüber ging, dass Paulus› Bemühungen, die Botschaft über seine eigene kleine Welt hinauszutragen bis heute Früchte tragen?

Sicher, der sichere Boden unter unseren Füssen ist auch unsere kleine Welt. Christsein ist Glaube UND eine innere Haltung und hat von Anfang an mehr mit Bewegung denn mit Stillstand zu tun. Glaube «bewegt» uns, wir sind damit «unterwegs» die «Weg»-Metapher und Paulus’ Reisen stehen für einen bewegten Glauben, nicht einen still- oder gar einen abgestandenen Glauben.

Zuweilen stelle ich mir vor, Paulus würde heute leben, würde heute Zeugnis geben für seinen Glauben. Wie würde er heute vorgehen? Zuerst wäre das Schreiben einfacher, eine Mail und zack! zig Gemeinden wären informiert! Die Reisen wären angenehm und bequem. Nicht lange und er wäre Global unterwegs. Das Tempo wäre durch die modernen Reisemittel so enorm, dass er wohl keine 20 Jahre auf Reisen durchhalten würde. Seine Mails müssten auch nicht mehr untereinander weitergereicht werden. Die Gemeinden erführen nicht mehr voneinander, alles liefe spitz auf Paulus zurück. Der Glaube würde sich nicht mehr lebendig verbreiten, aber er liesse sich dafür gut administrieren. So gesehen bin ich froh, dass Paulus seine Aufgabe damals erhielt und nicht heute.

Christsein ist Glaube UND innere Haltung. Wir folgen Jesus Christus und Paulus erzählte uns, wie wir das tun können, damals wie heute.

Anna Di Paolo

Kirche Schweiz – katholisch, aktuell, relevant

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