Wenn Stille ausgehalten werden muss

Der 26. April war der «Tag des Lärmes». Er sollte uns bewusst werden  lassen, dass wir in einer total lauten Welt leben, in der Lärm etwas Selbstverständliches ist und die Stille zu einem wertvollen, fast unerschwinglichem Gut wird.
Das merke ich ja selbst auch. Ich kann  fast nicht in einem Raum  schlafen, wenn das Fenster zu ist. Und das nicht nur wegen der Luft. Ich bin es  gewohnt, die Strasse und andere Geräusche zu hören. Wenn es plötzlich ganz ruhig wird, wache ich manchmal sogar auf.
Am Tag des Lärms hat ein Regionalfernsehn den Lärm in Dezibel gemessen: im Kapuzinerkloster Olten, auf einem Berg und unter der Erde. Zwar hätte ich spontan gesagt, dass es unter der Erde am ruhigsten ist,   tatsächlich war es  in der Kirche am leisesten.
Es ist gerade diese Ruhe und Stille, die die Kirche zu einem faszinierenden Ort macht. Predigt und Musik gehören zwar dazu, aber es ist etwas ganz Besonderes,  wenn niemand in einer Kirche arbeitet und es darin einfach nur still ist. Für mich persönlich ist es immer wieder eine Herausforderung,  das auszuhalten.
Letzte Woche träumten wir auf dem Firmweg mit 17 jährigen Jugendlichen vom Himmelreich.  Zuerst ging es um die «profane» Welt: was ist uns wichtig?. Es entbrannte eine intensive Diskussion über Geld, ob es wirklich so wichtig ist, wie wir oft denken. Die Jugendlichen waren sich einig: Familie, Freundschaft, Ferien, Erfolg etc.  – das alles wird als sehr wichtig, vielleicht sogar als Himmelreich auf Erden angesehen, aber ohne Geld, oftmals auch viel Geld, geht das alles nicht. – Mag sein, dass die Jugendlichen ja auch Recht haben, auch wenn ich mir das nicht immer eingestehen will.
Danach ging es in die abgedunkelte Kirche.
Die Aufgabe lautete, einmal 15 Minuten lang nichts zu tun, nur mit einer Kerze in der Hand. vom eigenen Himmelreich auf Erden träumen. Die 15 Minuten waren die Minimalvorgabe. Dann ging es darum,  sich zu überlegen, was sie selbst zu diesem Traum beitragen können und dazu ein Gebet zu formulieren. Wenn es dann genug der Stille war, ging es ins Pfarreiheim, um die Bilder, die im Kopf aufgetaucht waren, auf eine Leinwand zu bringen.
Bei solchen Gelegenheiten frage ich am Anfang in der Kirche immer: «Wann habt ihr das letzte Mal Nichts getan?» Die Frage muss dann meist erklärt werden, denn nicht nur die Jugendlichen leben in einer Welt, in der «nichts tun» oft mit einem Blick aufs Handy verbracht wird.
Bei der Vorbereitung solcher Abende  habe ich immer ein wenig Angst, dass die Jugendlichen die 15 Minuten nicht aushalten. Doch  wenn es dann so weit ist, merke ich, dass ICH es bin, der es nicht aushält. Die Jugendlichen lassen sich auf diese Situation ein. Sie verteilen sich in der Kirche und geniessen es regelrecht, einmal nicht unter Leistungsdruck zu stehen. Es kommt vor, dass jemand erst nach 30 Minuten aufsteht und aus der Kirche geht, weil sie es so genossen hat.
Ich hingegen tigere oft im Altarraum umher, kann mich fast nicht ruhig halten. Ich weiss nicht warum, aber ich merke, dass  15 Minuten für mich schon mehr als genug sind. Vielleicht werde ich im Alter ja auch noch ruhiger… 
Eingeschlafen ist übrigens in den letzten Jahren nur einmal ein junger Mann.

Thomas Boutellier

Kirche Schweiz – katholisch, aktuell, relevant

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