Ein Glaube, zu dem der Karfreitag gehört, macht einen Unterschied

Seit 9 Jahren verbringe ich die Karwoche auf der Nordsee-Insel Wangerooge. Am Freitagnachmittag führt der Weg zur Karfreitagsliturgie durch die Hauptstrasse des Feriendorfes. Die Restaurants sind offen, auch einige Läden. Bei schönem Wetter wird draussen Kaffee getrunken, Kinder essen Eis – eine schöne Ferienstimmung.

Leiden, Gewalt und Tod

Auch die Kirche ist gut besetzt. Einige Hundert Urlauber und Urlauberinnen sowie etliche Bewohner der Insel stellen sich mitten am Nachmittag der Auseinandersetzung mit den letzten Stunden von Jesu Leben. Sie sind konfrontiert mit Leiden, mit Gewalt und Tod, Trauer und Abschied, Verrat und Feigheit, aber auch mit der Treue zu diesem Jesus. Dieser hatte in seinem Abschiedsmahl nicht nur sein Leben, sondern auch sein Scheitern und Sterben mit seiner Hoffnung auf Gottes Reich und seine Gerechtigkeit verknüpft, indem er sagte, er werde kein Brot mehr essen und keinen Wein mehr trinken, «bis das Reich Gottes kommt». Auch nach dem Gottesdienst führt der Heimweg durch das Feriendorf. Die Kontrast-Erfahrung ist stark.

Ferienstimmung – mit einem Unterschied

Am Karsamstag gehöre auch ich wieder zu den Urlaubern. Ich geniesse ein Stück Torte mit Blick auf die Wolken, den Strand und das weite Meer. Entspannt plaudern wir dabei über dieses und jenes. Aber der Karfreitag hat bei mir eine Spur hinterlassen. Ich formuliere sie für mich so: Ein Glaube, zu dem der Karfreitag gehört, macht einen Unterschied. Er ruft in Erinnerung, dass im Leben, in der Freiheit und in der Freude, wie Menschen auf der Spur Jesu sie verstehen, das Schwere, das Harte, das Leiden, ja sogar Tod und Gewalt einen Platz haben. Denn sie haben mit Gott zu tun, also mit dem «was mich unbedingt angeht» (Paul Tillich). Selbst in der Osternacht, in deren Zentrum das Licht, die Freude und der Aufstand für das Leben stehen, steht die Erinnerung an das Mahl «in der Nacht vor seinem Leiden» im Zentrum.

Nicht verdrängen – sondern berührbar bleiben

Gerade in unseren Zeiten ist mir dieser Unterschied wichtig: Menschen, die sich den Kontrast zwischen Ferienstimmung und Karfreitagsliturgie zumuten, verdrängen Leiden, Grenzerfahrungen und Tod nicht. Sie schieben das Schwere nicht zur Seite, verharmlosen und banalisieren es nicht. Sie gehen ihren Weg in der Spur eines Menschen, der sich auf Hunger, Tränen und Krankheit einliess und eine Hoffnung verkörperte, die selbst an seiner Gottverlassenheit am Kreuz nicht zerbrach. Auch solche Menschen machen Ferien und geniessen sie. Aber sie träumen nicht von einem Urlaub ohne Ende und ohne Unterbrechung, sondern sind bereit, sich sogar in den Ferien unterbrechen und berühren zu lassen von dem, «was sie unbedingt angeht»: vom leidensempfindlichen und solidarischen Gott Jesu, auf dessen Spur sie zu leben versuchen. Auch nach Ostern bleibt Gott auf leidensempfindliche und solidarische Söhne und Töchter angewiesen.

Daniel Kosch

Kirche Schweiz – katholisch, aktuell, relevant

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