Ausgerechnet Herzogenbuchsee – Wovon träumt einer der auswandert? – Teil 2

In Teil 1 meiner Mini-Serie stellte sich mir diese Frage:

Oder war da doch ein Traum, am Anfang jener Geschichte? Und bezog sich der Traum nicht auf einen Ort in der Welt sondern auf einen Platz in dieser?

Das Ende der Geschichte meines Urgrossvaters deutet jedenfalls auf letzteres hin.

Mein Urgrossvater reiste jedes Jahr nach Hause in sein Haus im italienischen Dorf an der Schweizer Grenze. Als mein Grossvater gerade mal 26 Jahre alt war – wohl knapp fertig mit seiner Ausbildung – packte den Urgrossvater eine grosse innere Unruhe und er reiste noch am selben Tag ab in sein Heimatdorf. Dort angekommen schloss er die Tür zu seinem Haus auf, trat ein und starb.

Dieser Teil der Geschichte war für mich schon immer der wichtigste. Die Vorahnung die ihn dazu brachte ausserhalb seiner üblichen Reisedaten nach Hause zu fahren. Und dass er dieses, sein zu Hause, eben nicht in Herzogenbuchsee sah, wo er sein ganzes Arbeitsleben dazu verwandte vorwärts zu kommen, Arbeitsplätze zu schaffen, zu erhalten und so mit seiner Tatkraft das Ortsbild von Herzogenbuchsee mitprägte. Ich sah mich darin bestätigt, dass mein Dorf nicht seine «Traumdestination» sein konnte.

Mein Grossvater übernahm also mit 26 das väterliche Baugeschäft und fügte diesem ein Architekturbüro hinzu. Er heiratete eine Italienerin, die er während seinen Wanderjahren bei italienischen Architekten kennenlernte und brachte sie mit nach Herzogenbuchsee. (Ihre Geschichte wäre ebenso erzählenswert, ich werde aber hier der «männlichen» Linie folgen.)

Mein Vater kam 1929 auf die Welt. Das Architekturbüro mit Baugeschäft lief gut, mein Nonno war ein «Patriarch» seiner Zeit und hatte viele Angestellte. Er engagierte sich in Berufsverbänden und in der örtlichen Gesellschaft. Ich weiss, für einmal hole ich etwas weit aus. Aber mein Anliegen liegt ja auf der Hand:

1897 der Urgrossvater wandert ein
1906 der Grossvater wird in der Schweiz geboren
1929 der Vater wird in der Schweiz geboren

Und alle diese Vor-Väter waren italienische Staatsbürger. In der heutigen Zeit ist das oft kein Thema.

Die Gemeinschaft unseres Wohnblocks setzt sich zusammen aus Italienern, Albanern, Türken, Deutschen, Österreichern, Italienern und Schweizern. Und dies bei gerade mal 8 Wohnungen. Und wir haben eine gute Nachbarschaft, man schaut aufeinander und bemerkt, wenn jemand lange nicht zu sehen war.

Was war also bei meiner Familiengeschichte damals anders als es heute wäre? Auch das ist nicht schwer zu erraten: der zweite Weltkrieg veränderte die Situation meiner Familie grundlegend. Wenn sich mein Grossvater vor 1939, der sich bestimmt von Geburt an als Schweizer fühlte, um seine Staatsbürgerschaft nie Gedanken machen musste, so änderte der Krieg alles.

1942 «kaufte» er von der Gemeinde Herzogenbuchsee für sich und seine Familie das Schweizer Bürgerrecht. Es ging rasch und war dringend nötig. Die Schweiz fing an, die Italiener zu internieren, also drohte der Familie die Inhaftierung in ein Lager. Nach Italien «zurück» zu kehren war zu diesem Zeitpunkt schon keine Option mehr, da mein Grossvater dem Einzug ins italienische Militär nicht Folge geleistet hatte, wäre er an der Grenze als Deserteur erschossen worden. Die Einbürgerung war die einzige Lösung. Nicht nur für die Familie, sondern auch für die zahlreichen Arbeitnehmer, die im Baugeschäft und im Architekturbüro beschäftigt waren. Das wussten auch die Verantwortlichen der Gemeinde und machten es sicher eben gerade deshalb möglich die Familie in kürzester Zeit einzubürgern.

(Fortsetzung folgt.)

Anna Di Paolo

Kirche Schweiz – katholisch, aktuell, relevant

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