Grafitti in Florenz
Gian Rudin

Pikachu: Ein Seufzer der ewigkeitsberaubten Kreatur.

Wireless. Unverdrahtet. Networken. Sich-Vergemeinschaften. Glücklicherweise sind die folgenden Zeilen keine Abhandlung über technische Errungenschaften der Menschheitsgeschichte, das wäre nicht mein Fachgebiet und ich würde wohl meine potentielle Leserschaft sogleich wieder verlieren, ehe ich sie gewonnen hätte, würde ich mich in die seichten Gefielde des Namedroppings begeben. Am Züricher Hauptbahnhof laufen neuerdings Menschen in seltsam gebückter Pose umher, was sie da wohl suchen, in diesem das Gütesiegel des Postmodernen längst überschrittenen, rechteckigen Ding. Darf und soll man einen Pokémon-Go-HotSpot theologisch evaluieren? Man muss. Das factum brutum lautet wohl: Es jagen mehr Menschen virtuellen japanischen Taschenmonstern hinterher, als dass sich Kichgänger mit Weihwasser bekreuzigen. Beiden Phänomenen inhäriert jedoch ein Zusammenspiel von Sichtbarem und Unsichtbarem. Der Mensch ist ein Sehnsuchtswesen. Er hat sich nie damit zufrieden gegeben zu fressen und zu schweigen. Die Suche nach einem Mehr-Als ist wohl der entscheidenste Zivilisationsmotor. Dieser Impetus stösst nun an aber die unüberwindbare Grenze des Sichtbar-Vorhandenen. Das WorldWideWeb hat diese Grenze in einem gewissen Sinne überschritten. Der Mensch im virtuellen Raum ist von seiner physisch-leiblichen Standortgebundenheit befreit und es bilden sich eine neue Sozialformen. Die freundliche Erkundigung nach dem Befinden meines Mitmenschen findet nicht mehr nur im Radius meiner Stimmgewalt statt, sondern ist via WhatsApp globalisiert. Gleichzeitig entwirft das Internet eine neue Wirklichkeit, die nicht an den üblichen Gleichklang des biederen Alltagslebens verwiesen ist. So ist es möglich, dass in der anonymisierten Ruhe des morgendlichen Tramsverkehers auf einmal an der Ecke Bahnhofstrasse/Kuttelgasse ein Pummeluff sichtbar wird. Nun wird auf einmal auch klar, warum fast alle Menschen gähnen oder schläfrig sind: Pummeluffs besitzen die Fähigkeit, ihre Gegner durch Gesang in Tiefschlaf zu versetzen. Pokémon-Go ist eine Form der Wiederverzauberung der Welt, wo doch die Entzauberung derselben gemäss Max Weber gerade duch die technische Rationalisierung ihren Anfang nahm. Hier wäre wieder bei der unausrottbaren Sehnsucht des Menschen, dass die Welt doch mehr sei als ein zusammengewürfelter Haufen von absurden Zufälligkeiten zu erinnern. Die Pokémon-Welt ist Signum einer sinnstiftenden Ordnung, in welcher jeder zum Helden avancieren kann, sei es auch durch eine achso banale Tätigkeit, wie die Handhabung eines Pokéballs. Der Mensch sucht grenzensprengende Gemeinschaft und will in der Wirklichkeit Verborgenes entdecken. Die christliche Religion hält hier mit den Stichworten HEILIGER GEIST und sakramentale Wirklichkeit Potentiale bereit, die es sich lohnt auszuschöpfen und in den Kontext des zeitgenössischen Menschen hineinzuvermitteln. Daher bemüht sich der Autor Kultur und christlichen Glauben miteinander ins Gespräch zu bringen. Die Weite des Kulturbegriffs ist dafür besonders zielführend, denn ganz im Geiste des Ignatius von Loyola, will Gott in allen Dingen ent-deckt werden.

Grafitti in Florenz | © Rudin, Gian
7. August 2016 | 23:56
von Gian Rudin
Lesezeit: ca. 2 Min.
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