Station in der Zionskirche. Annette Leonhard und Jugendarbeiter Matthias Villiger.  © Vera Rüttimann 2017
Vera Rüttimann

Ost-Kreuz-Tour: Firmlinge der kath. Kirchgemeinde Kirchdorf in Berlin

Da ich immer schon gerne Geschichten erzählt habe, die in keinem Reiseführer stehen und ich in Berlin über ein gewisses Netzwerk an Zeitzeugen verfüge, die über die DDR-Zeit erzählen können, stellte ich «OST-KREUZ-Tour-Berlin» auf die Beine. (Die Website dazu geht demnächst online). Mehrere interessierte Einzelpersonen und Schulklassen konnte ich schon während ein oder zwei Tagen in den letzten Jahren durch Berlin führen. So wie unlängst auch Firmlinge der kath. Kirchgemeinde Kirchdorf. Das Faszinierende an dieser Tour ist für mich folgendes: Jeder Einzelgast und jede Schulklasse tickt anders, nie ist der Wissensstand über die deutsche Geschichte gleich und die Orte, die ich vorstelle, verändern sich stets. Und ich selbst lerne ungemein viel auf diesen Touren. Es brauchte auch diesmal viel Beschreibungskunst, um 15-jährigen Schülern aus der Schweiz plastisch zu erklären, dass beispielsweise am Ende der Oderberger-Strasse im Prenzlauer Berg eimal eine Mauer stand und die Strasse in einer Sackgasse endete. Etwas, was ich mir selbst gar nicht mehr vorstellen kann. Berlin ist beinahe schon so lange ohne Mauer, wie diese einst stand, nämlich 28 Jahre. Wie kann man so etwas plastisch aufzeigen? Damit Schüler verstehen, wie schmerzvoll Orte wie die Bernauer-Strasse für die Berliner waren, muss man viel privaten Einblick geben. Kaum vorstellbar ist für die Schüler auch, dass Ost-Berlin nach dem Mauerfall ein Ort war, in dem man Häuser und Plätze besetzen konnte und einen quasi rechtsfreien Raum vorfand. (Buchtipp «Berlin Wonderland») Ich selbst ertappte mich dabei einmal mehr, dass bestimmte Begriffe wie «Hausbesetzer» oder «Sozialismus» von heutigen Schülern nicht mehr verstanden werden und Worte wie «Kapitalismus» von ihnen ideologisch gar nicht mehr hinterfragt werden (Stichwort: Systemfrage). Es sind buchstäblich Begriffe aus dem letzten Jahrhundert.

Ich muss zudem immer wissen, wo sich die nächste Toilette befindet. Das schönste Kirchen-Klo gibt es übrigens in der Zionskirche. Wunderbar ist es, wenn ich von so engagierten Jugendarbeitern wie Matthias Villiger und Igor Simonides begleitet werde, die mir halfen, die Diskussion mit den Schülern zu moderieren. Egal ob bei Annette Leonhard in der Zionskirche, bei Barbara Schubert im Stadtkloster Segen, in der Kapelle der Versöhnung oder bei Iris Weiss in der Naunyn-WG in Kreuzberg – die Schüler hörten aufmerksam zu, auch wenn sie zuweilen richtig froren. Berlin erlebte mit Schneeverwehungen (!) mitten im Frühling einen heftigen und auch von mir selten so erlebten Wintereinbruch. Allein schon das war für die Schüler wohl ein unvergessliches Erlebnis.

Bildquellen

  • Ost-Kreuz-Tour Berlin: Bildrechte beim Autor
Station in der Zionskirche. Annette Leonhard und Jugendarbeiter Matthias Villiger. © Vera Rüttimann 2017
7. Mai 2017 | 17:55
von Vera Rüttimann
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