Heinz Angehrn

Ohne jede Relevanz

Wenn es eine für uns als Institution wirklich wichtige Schlussfolgerung aus dem gestrigen Abstimmungsergebnis gibt, dann ist es diese: Wir haben anzuerkennen, dass die katholische Kirche, die dieses Land während Jahrhunderten zutiefst geprägt hat, für das gesellschaftliche Leben immer irrelevanter wird.

Wenn selbst Kantone wie Schwyz, Appenzell-Innerrhoden und hier bei uns unten das Tessin der Vorlage «Ehe für alle» zustimmen, und dies trotz klarer Gegenwehr der versammelten Bischöfe, durch deren Reihen für einmal kein Graben zu erkennen war, dann sagt dies uns eines: In wichtigen gesellschaftlichen Fragen und Entscheidungen interessiert es nicht nur die Mehrheit der Bevölkerung, sondern auch die Mehrheit der katholischen Bevölkerung nicht mehr, was die offizielle Lehre und Haltung der Kirche ist.

(Wir werden dies in noch viel krasserer Weise wohl erleben, wenn dereinst eine politische Vorlage zum assistierten Suizid bzw. zum Recht auf einen frei gewählten Tod zur Diskussion steht.)

Ich schwanke zwischen verschiedenen Gefühlen: Trauer, Schadenfreude und Ratlosigkeit.
Trauer, weil ich erkenne, dass es gut wäre, wenn in wichtigen sozialethischen Fragen (etwa was Wirtschaft, Finanzen und Ökologie betrifft) die Stimme der christlichen Kirchen und ihrer Theologie noch Beachtung finden würde.
Schadenfreude, weil ich es als junger Mensch und Theologe noch lange erleben musste (etwa in der Frage der Militärdienstverweigerung), wie die Kirche und ihre Vertreter (nur Männer) immer wieder vor der bürgerlich-politischen Elite gekuscht und sich verbogen haben.
Ratlosigkeit, weil ich nicht erkennen kann, wie wir nach dem vielem angerichteten Schaden, gerade in den Fragen der Glaubwürdigkeit und Vorbildfunktion, überhaupt noch angehört bzw. zur Diskussion eingeladen werden.

Vielleicht wird es die sich abzeichnende Kirche sein, eine Kirche ohne staatliche Anerkennung und ohne durch den Staat ermöglichte Finanzierung, die eher wieder fähig ist, Salz der Erde und Licht der Welt auch in gesellschaftlichen Fragen zu sein. Quasi eine gesellschaftliche Untergrundkirche der von der Botschaft vom Reich Gottes Bewegten?

Bildquellen

  • sacro-cuore1: www.trail.ch
27. September 2021 | 13:00
von Heinz Angehrn
Lesezeit: ca. 1 Min.
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5 Gedanken zu „Ohne jede Relevanz

  • stadler karl sagt:

    Aber man darf sich nicht täuschen: Auch Stände wie Schwyz, Uri usw., also in der Tendenz eher konservative Stände, bewegten sich manchmal bereits in früheren Zeiten sehr weit weg von Rom oder vom Bistumssitz, wenn ihnen interessenmässig etwas wider den Strich lief. Die radikale blinde Gefolgschaft gegenüber den kirchlichen Instanzen bildete in diesen Ständen nie gesellschaftliche Realität und sie ist auch nicht das Markenzeichen von “Konservatismus”, wie gerade in einem Nachbarblog implizit kolportiert wird. Konservatismus ist nicht einfach “tölpelhaft”. Das ist schlicht ein Mythos! Da liessen sich schon Beispiele finden, sei es, dass ein Streit offen ausgetragen wurde oder dass man eine “Auslegungsfrage” selber an die Hand nahm.
    Dass das Volksverdikt vom letzten Sonntag zwingend ein abschliessendes Zeichen dafür ist, dass die Kirchen endgültig ohne jede Relevanz in der Gesellschaft dastehen, das glaube ich als Aussenstehender nicht, trotz der entgegenstehenden Stellungnahme der SBK. Vielleicht unterscheidet die Stimmbürgerschaft viel mehr, als wir gemeinhin annehmen. Dass den gleichgeschlechtlichen Paaren, wenn sie ehrlich einen gemeinsamen Lebensweg beschreiten wollen, jetzt einmal abgesehen von den Kinderbelangen, die gleichen Rechte eingeräumt werden sollen wie heterosexuellen Ehepaaren, war ja eigentlich gar nicht stark umstritten, auch von der Gegnerschaft nicht. Mir ist ein Beispiel bekannt, wo sich ein homosexueller SVP-Vertreter, der in Partnerschaft lebt, öffentlich gegen die “Ehe für alle” in der vorgelegten Version aussprach, aber sich gleichzeitig dafür stark machte, dass die gleichgeschlechtliche Partnerschaft rechtlich ausgeweitet werden soll, damit sie den Rechtsbeziehungen zwischen Ehepartnern gleichkommt. Ich glaube nicht, dass das Argument betreffend die “Kinderbelange” nur ein billiger Vorschub war, um die rechtliche Gleichstellung zu verhindern, wie von manchen Befürwortern behauptet. Eigentlich argumentiert auch Bergoglio ganz ähnlich. Er ist nicht gegen die zivilrechtliche Gleichstellung der Partnerschaft als solche, soweit es die Beziehungen der Partner betrifft. Aber er wehrt sich vor dem Hintergrund der kirchlichen Lehre verständlicherweise für eine sakramentale Anerkennung und auch gegen den Punkt der Kinderbelange, wie Samenspende, wobei letztere auch in Bezug auf heterosexuelle Ehen ethisch sehr wohl diskutiert werden kann. Die Frage der Segnung lassen wir für einmal beiseite. Bergoglio sollte halt einmal in dieser Frage den Prälaten vom sanctum officium die Knöpfe eintun!
    Und sofern eine gläubige Person, wenn sie homosexuell ist, am Sonntag “ja” gestimmt hat, muss das nach meiner Meinung nicht zwingend bedeuten, dass sie sich gänzlich um kirchliche Lehren und Verlautbarungen futiert. Rechtlich sind nun gleichgeschlechtliche Paare in Bezug auf die Ehe gleichgestellt. Aber selbst wenn ein gläubiges gleichgeschlechtliches Paar von dieser Möglichkeit Gebrauch macht und sich trauen lässt, steht ihm immer noch die Möglichkeit offen, soweit Kinderbelange betroffen sind, sich von kirchlichen oder anderweitigen ethischen Überlegungen leiten zu lassen und zu orientieren versuchen. Belange, ganz allgemein, die rechtlich möglich ist, entbinden ja nach wie vor nicht davon, ob gläubig oder nicht, diese auch ethischen Überprüfungen zu unterziehen.

  • Hansjörg sagt:

    Weshalb soll eine kath. Kirche in einer zivilrechtlichen Frage eine relevante Meinung zum Thema “gleiche Rechte für alle” haben?
    Es ist die gleiche kath. Kirche, die intern nicht alle Menschen gleichberechtigt und gleichwertig behandelt. So werden Frauen auch im Jahr 2021 diskriminiert und nicht zu allen Berufen innerhalb der kath. Kirche zugelassen.

  • Michael Bamberger sagt:

    Enorm relevant ist die kath. Kirche insbesonde dann, wenn es um Kindsmissbrauch und Vertuschung geht, wie es wieder mal das horrend kriminelle Ausmass aus Frankreich belegt. Die Dominosteine fallen Land nach Land. Wann endlich ist die kath. Kirche der Schweiz bereit für ein Urteil einer unabhängigen Kommission?

  • Werner Wägli sagt:

    Schade, dass gesellschaftspolitische Uberlegungen und unsere christlichen Kultur von unserem Abendland nicht mehr in die Diskussion einbezogen wurde. Nachstehend eine Nachricht von “cath.ch”, der zu wenig Beachtung geschenkt wurde:
    Mariage homosexuel, pilule, suicide assisté… l’analyse de Benoît XVI
    Si, grâce à la contraception, la sexualité a été séparée de la fécondité, alors, inversement, la fécondité peut logiquement être pensée sans sexualité. C’est ce qu’explique le pape émérite Benoît XVI dans un livre qui vient de paraître en Italie. Dès lors, l’être humain n’est donc plus compris comme un don reçu mais un comme produit planifié, déplore-t-il. Une opinion à laquelle le pape François apporte son soutien explicite.
    A l’heure où le peuple suisse s’apprête à voter sur le mariage pour tous, la réflexion du pape émérite apporte un éclairage intéressant sur la thématique de la génération et de la filiation. Toujours avec la clarté déductive qui le caractérise, le professeur Ratzinger, dont l’esprit demeure visiblement vif, livre sa synthèse.
    Dans un livre sur l’Europe paru le 16 septembre 2021 en Italie, le pape émérite Benoît XVI alerte dans un texte introductif sur le saut anthropologique des dernières décennies durant lesquelles le monde contemporain a cessé de souscrire au lien entre sexualité et fécondité et de croire en l’origine sacrée de l’homme. Une analyse partagée et saluée explicitement par le pape François qui signe la préface de l’ouvrage.
    «Avec la légalisation du «mariage homosexuel» dans seize États européens, le thème du mariage et de la famille a pris une nouvelle dimension qui ne peut certainement pas être ignorée». Telle est la première phrase du texte inédit du pape émérite Benoît XVI introduisant l’ouvrage La Vera Europa, identità e missione (La vraie Europe, identité et mission), paru le 16 septembre aux éditions Cantagalli.
    Le livre de 264 pages est le troisième volume d’un projet éditorial qui rassemble une sélection des textes de Joseph Ratzinger – Benoît XVI. Les deux précédents ouvrages avaient également été préfacés par le pape François.

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