Daniel Kosch

Niklaus von Flüe im Spannungsfeld von Gottesbeziehung und Weltverantwortung

Das Motto «Mehr Ranft», das über dem Gedenkjahr für Niklaus von Flüe steht, hat mich von Anfang an angesprochen. Ich habe es spontan als Impuls für mehr Stille, Besinnung auf das Wesentliche, Suche nach dem wahren Frieden, und als Absage an Reizüberflutung, Hektik, übermässigen Konsum und Oberflächlichkeit aufgefasst. Auf meinem Pult dient mir das Motto «Mehr Ranft» zusammen mit dem Meditationsrad des Eremiten als Denkanstoss, etwas von diesem Geist in meinen Arbeitsalltag einfliessen zu lassen.

«Die Nabe macht die Speichen zum Rad»

Beim längeren Betrachten des Radbildes hat sich mein Blick auf Niklaus von Flüe und «Mehr Ranft» verändert. Zwar zentrieren der Rahmen, die Kreise und auch die Speichen auf die Mitte – darin vergleichbar der mystischen Weisheit «Die Nabe macht die Speichen zum Rad – im Nichts ruht des Rades Sinn». Aber die Bewegung geht nicht nur von aussen nach innen, vom Rand zur Mitte, sondern auch von innen nach aussen. Beides ist für das Rad wesentlich.

Die Form der Speichen sagt: Was von innen her stark ist, kann nach aussen strahlen – und was von aussen her stark ist, strahlt nach innen. Aber sie lässt sich auch umgekehrt lesen: Was aussen ein schwaches Signal ist, kann auf dem Weg der Verinnerlichung stärker werden – was innen schwach scheint, kann aussen breit wahrgenommen werden.

«Von aussen nach innen – von innen nach aussen»

«Mehr Ranft» heisst nicht nur «von aussen nach innen kommen», sondern auch «von innen nach aussen wirken» und beide Dynamiken so ausgleichen, dass Bewegung entsteht, dass das Rad sich dreht und seinen Auftrag erfüllen kann, Menschen und Dingen auf dem Weg voranzubringen.

Vielleicht kann man auch den Lebensweg des Bauern, Politikers, Pilgers und Mystikers so lesen: Zuerst machte er Karriere im Aussen – als Landwirt, Familienvater und Träger politischer Verantwortung. Aber immer wieder rissen ihn visionäre, aber auch bedrohliche Erfahrungen heraus, teils ermutigten, teils zwangen sie ihn auf schmerzhafte Weise dazu, sich auf den Weg nach innen zu machen, bis hin zu einer tiefen Krise. Dann entschied er gemeinsam mit Dorothee, sich als Pilger ganz in den Dienst Gottes zu stellen, den Weg zur Mitte einzuschlagen. Aber wieder wurde er gezwungen, umzukehren, dorthin, wo er herkam – auch das wahr schmerz- und krisenhaft. Im Ranft schliesslich kam er zur Ruhe. Er führte dort ein Leben, das seinem Radbild entspricht: Mit einer unverzichtbaren Mitte und mit einer Dynamik, in der ein Gleichgewicht bestand zwischen dem, was von dieser Mitte her ausstrahlte, und dem, was von aussen her prägte und einwirkte.

«Vom Konflikt zur Versöhnung von Gottesbeziehung und Weltverantwortung»

Das konflikt- und spannungsreiche Verhältnis zwischen Gottesbeziehung und Weltverantwortung, das Niklaus von Flüe körperlich wie seelisch an den Rand brachte, und wohl auch seine Familie und sein Umfeld belastete, wurde transformiert in einen inneren Frieden, der durch die Kontakte und Vermittlungsbemühungen gesellschaftlich und politisch wirksam wurde. Weil er das Wort «Fried ist allweg in Gott» selbst erfahren und verinnerlicht hatte, hörten die Menschen auf seine Mahnung «Darum sollt ihr bemüht sein, alles auf Frieden auszurichten».

Das Motto «Mehr Ranft» geht nicht einfach auf Kosten eines aktiven, weltbezogenen Lebens. Denn der Blick auf Niklaus von Flüe und sein Radbild können eine Hilfe sein, die Konkurrenz zwischen dem Weg nach innen und der Weg nach aussen in eine Dynamik zu transformieren, die beides versöhnt und das eigene Lebensrad gleichzeitig in Bewegung hält. Allerdings zeigt die Biographie, dass diese Transformation nicht ohne Krisen und Schmerzen für ihn wie für seine Nächsten geschah.

(c) Daniel Kosch | 20.8.2017
20. August 2017 | 15:44
von Daniel Kosch
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