Vater und Sohn im Film "Wajib" von Annemarie Jacir © Locarno Festival
Charles Martig

Mit dem Auto quer durch Nazareth

Abu Shadi, ein geschiedener Vater und Lehrer Mitte sechzig, lebt in Nazareth. Zur Vorbereitung der Hochzeit seiner Tochter kehrt Sohn Shadi nach vielen Jahren aus Rom zurück. Bei einer Autofahrt von Vater und Sohn durch Nazareth prallen zwei Welten aufeinander. «Wajib» von Annemarie Jacir ist politisches Kino pur.

Es geht in «Wajib» (Pflicht) um den Architekten Shadi, der nach langem Aufenthalt in Rom an seinen Heimatort Nazareth zurückkehrt. Er soll seinem Vater dabei helfen, die Einladungen zur Hochzeit seiner Schwester persönlich zu überbringen. Die Familienmitglieder haben sich durch die lange Abwesenheit Shadis voneinander entfremdet.

Weltsichten prallen aufeinander

Das Drehbuch stellt Vater und Sohn einander gegenüber. Auf einer Reise quer durch die verschiedenen Quartiere von Nazareth werden sie auf die Probe gestellt. Ihre Weltsichten und Lebensweisen stehen in Konflikt, beide Figuren erscheinen als ambivalent. Der Vater lebt in einer Welt, die seit 20 Jahren stehen geblieben ist. Seine Frau hat sich von ihm getrennt und ist in die USA migriert. Der Sohn hat Architektur in Rom studiert und ein neues Leben begonnen. Nur die Tochter blieb zuhause beim Vater. Diese Trennung hat die Familie empfindlich getroffen und tiefe Wunden gerissen.

Der Sohn ist politisch engagiert und lebt mit einer Freundin aus dem PLO-Umfeld in Rom. Aus der Sicht Westeuropas vertritt er die korrekte politische Haltung und verteidigt das Anliegen des Widerstands gegen den Staat Israel. Aber diese Haltung erscheint als naiv. Weil sich der Vater im politischen und gesellschaftlichen Umfeld arrangiert hat, weiss er, was unter den besehenden Umständen möglich ist und was nicht. Die Lebenswelten und politischen Ansichten von Vater und Sohn prallen unerbittlich aufeinander.

Schauplatz Auto

Hauptschauplatz ist ein alter Volvo, mit dem die beiden durch Nazareth fahren. Dies erlaubt einen genauen Blick auf die Vater-Sohn-Beziehung und gibt dem Film einen inszenatorischen Rahmen. Immer wieder steigen die beiden aus und besuchen Freunde, Verwandte und Bekannte. In jedem neuen Haus gibt es einen neuen Mikrokosmos aus Nazareth zu sehen. Das ist dramaturgisch mit einfachen Mitteln dargestellt, aber sehr wirkungsvoll.

Schauspiel und Realität

Besonders interessant ist die Besetzung der Hauptrollen. Der bekannte plästinensische Schauspieler Mohammad Bakri spielt die Rolle des Vaters, sein leiblicher Sohn Saleh Bakri spielt den Architekten aus Rom. In dieser Doppelung aus realem Leben und gespielter Rolle entsteht eine Dynamik, die mitreissend wirkt. Die Konflikte sind authentisch, die Sprache manchmal direkt aus dem Alltag und grob, dann wieder liebevoll und ironisch.

Politisches Kino mit Verve

Annemarie Jacir versteht sich dezidiert als pro-palästinensische Filmemacherin. Sie hat für die Produktion des Films keine Mittel aus der staatlichen Filmförderung Israels beansprucht, sondern andere Quellen im Produktionland und in weiteren sieben europäischen Staaten gefunden.

Kino mit einer politischen Haltung ist im internationalen Wettbewerb von Locarno häufig zu sehen. Es gehört zur DNA des Festivals. Annemarie Jacir vertritt ihr politisches Kino konsequent und mit Verve. «Wajib» konkurriert im Wettbewerb um den Goldenen Leoparden und den Preis der Ökumenischen Jury.

Webseite des Locarno Festival

Vater und Sohn im Film «Wajib» von Annemarie Jacir © Locarno Festival
7. August 2017 | 17:48
von Charles Martig
Lesezeit: ca. 2 Min.
Teilen Sie diesen Artikel!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind markiert *

Du kannst diese HTML-Tags und -Attribute verwenden:

<a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.