Franz von Assisi popularisierte die Krippe, die mit der Geburt Jesu verbunden ist. Als die Krippe begann, sich von Kultur zu Kultur zu bewegen, wurde in Indien die Menschwerdung Jesu in funkelnden bunten Dekorationen dargestellt. Eine Krippe aus Nordindien
George Francis Xavier

Menschwerdung in Luzern

Ich vergesse meine Dualität und Unterschiede zwischen Mann und Frau, Fremdling und Freund, Kind und Alt, Böses und Gutes. Das ist Weihnachten – ein Lichtfest, das ist Menschwerdung von Gott.

Überall lichter!

 

Der Dezember hebt sich von der Dunkelheit des Novembers ab. Überall Lichter!

Die Stadt Luzern –die Lichterstadt- kündigt das christliche Hochfest des Dezembers mit der Beleuchtung auf der Brücke und in der Altstadt an. Es ist alles hell und die Geschäfte sind rot und mit Grünzeug dekoriert. Der St. Nikolaus besuchte die Familien, Männer gehen mit grossen Glocken herum, Kinder singen Weihnachtslieder, Erwachsene besuchen schöne Abendkonzerte, das Radio sammelt vor dem KKL Spenden für Kinder. Tannenbäume stehen auf dem Quai zum Verkauf. Es geht auf Weihnachten zu.

 

Begegnungsfest

Eine nordindische Krippe | © 2015 Beat Pfammatter

Während meiner Zeit in Indien war für mich Weihnachten das traditionelle Begegnungsfest mit meinen Eltern. In Luzern wurde mir Weihnachten zu einem meiner einsamsten Tage. All meine Kollegen und Freunde dürfen ihre Eltern besuchen und mit ihnen ein feines Abendessen geniessen. Der Tag wird in deren Familien gefeiert. Weihnachten ist nun deren traditionelles Begegnungsfest.

 

Dies stimmt mich nachdenklich und lässt meine Gedanken tief in unberührte Bereiche meines Herzens tauchen. Wie viele andere, muss ich mich damit abfinden, dass ich meine Eltern aus je ganz unterschiedlichen Gründen nicht besuchen kann. Dies öffnete aber meinen Blick auf neue Begegnungen. Ich fing an, Leute zu beachten und zu grüssen, die mir sonst fremd waren. Und plötzlich begannen mich Fremde freundlich zu grüssen. Dies gab mir ein Gefühl, menschlicher zu werden. Ich fing an, in anderen Augen den freundlichen Blick zu erkennen.

 

Menschwerden

 

Am auffälligsten wurden mir Begegnungen zu Menschen, die ich plötzlich in der Stadt wahrnahm, weil ich sie aus meinen kurzen Arbeitseinsätzen in der Suppenstube* des Kapuzinerklosters Wesemlin kennengelernt habe. Dort habe ich ab und zu die Gelegenheit, ihnen Essen zu servieren. Vor dem leicht warmen Eingang zur Universität treffe ich plötzlich jemanden, den ich Tage zuvor auch in der Suppenstube traf. Beim Umsteigen vom einen zum anderen Bus, treffe ich wieder jemanden, den ich von der Suppenstube her kenne. Bei einem abendlichen Spaziergang, der mir nach langen Seminaren und Vorlesungen Kraft und Ruhe gibt, treffe ich wieder jemand von der Suppenstube. Diese Menschen waren wohl schon immer da, aber erst jetzt nehme ich sie richtig war, erst jetzt grüsse ich sie. Sie sind selten als Randständige zu erkennen, und es sind genau diese neuen Begegnungen, die mir jetzt zu meinen ganz persönlichen Weihnachten werden. Das sind die wahren Lichter, das Leuchten in deren Augen, wenn ich sie Grüsse und wahrnehme. Sie lassen mich erkennen, was «Menschwerden» wirklich bedeutet.

 

Nietzsches Übermensch

In ‹Also sprach Zarathustra’, schreibt Nietzsche von drei spirituellen Metamorphosen, dem sich das Individuum unterziehen muss, um den Zustand der Übermenschlichkeit zu erreichen. Ein Kamel, ein Löwe und in der dritten Stufe ein Kind. Wenn man den Kind-Geist erreichen kann – den Geist in einen Moment eintauchen zu können mit Staunen und Verspieltheit gefüllt – dann kann man seinen eigenen Willen schaffen, seine eigene Tugend erstellen, und damit seine eigene Wirklichkeit oder Realität erschaffen. In dieser letzten Metamorphose überwindet sich der Geist, erobert seine Welt und erreicht den Zustand von Übermensch. Der Geist erreicht Befreiung.

Franz von Assisi popularisierte die Krippe, die mit der Geburt Jesu verbunden ist. Als die Krippe begann, sich von Kultur zu Kultur zu bewegen, wurde in Indien die Menschwerdung Jesu in funkelnden bunten Dekorationen dargestellt. Eine Krippe aus Nordindien. Eine nordindische Krippe mit Maria und Josef | © 2015 Beat Pfammatter

An Weihnachten bin ich nicht mehr mit meinen Eltern zusammen, um mein inneres Kind verwöhnen lassen zu können. In Luzern, werde ich jedoch ein Kind, das die Stufen von Kamel und Löwe zurücklässt, wie Nietzsche erklärt. Ich verpasse am Weihnachtstag die elterliche Berührung, aber ich werde menschlicher, weil ich neu zusammenkomme mit all denjenigen, denen diese elterlichen Begegnungen nicht möglich werden. Ich vergesse meine Dualität und Unterschiede zwischen Mann und Frau, Fremdling und Freund, Kind und Alt, Böses und Gutes. Das ist Weihnachten – ein Lichtfest, das ist Menschwerdung von Gott.

 

*Die Suppenstube ist ein traditionelles caritatives Angebot des Kapuzinerklosters Wesemlin, Luzern. Randständige können täglich (ausser Sonntag und Montag) am Mittag und am Abend warme und kostenlose Mahlzeiten einnehmen. 2016 und 2017 stellte das Kloster jährlich knapp 3›000 Mahlzeiten zur Verfügung.

 

Franz von Assisi popularisierte die Krippe, die mit der Geburt Jesu verbunden ist. Als die Krippe begann, sich von Kultur zu Kultur zu bewegen, wurde in Indien die Menschwerdung Jesu in funkelnden bunten Dekorationen dargestellt. Eine Krippe aus Nordindien | © 2015 Beat Pfammatter
24. Dezember 2017 | 14:30
von George Francis Xavier
Lesezeit: ca. 3 Min.
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