Heinz Angehrn

Lock-Down und Kirche

In dieser Frage habe ich mir vorgenommen, bis zum Ende der harten Massnahmen zu schweigen. Bald einmal wurde nämlich klar, dass das quasi totale Gottesdienstverbot auch zum Anlass und Tummelplatz für religiöse Extremisten jeglicher Couleur werden könnte. Und das wurde es dann ja auch. «Veritas liberabit vos» – ich hätte einfach nicht damit gerechnet, dass sich auch katholische Würdenträger auf diesen Tummelplatz stürzen würden! Noch weniger, dass auch Kurienkardinäle im Umfeld dieses Pamphlets gesichtet wurden. Auch nicht, dass sogar ein Schweizer (Weih)Bischof sich darin verwickeln liess.

(Einschub: Dieser üblen Vorgänge verifizieren die von mir schon seit Jahren vorgetragene These, dass sich auch in der katholischen Variante des Christentums nun eindeutig sektenhafte Strömungen entwickeln, deren Denken ich darum in Anlehnung an die Bedeutung des Wortes «evangelikal» eben umgekehrt «katholikal» nannte. Es ist offensichtlich, dass die pluralistische, multikulturelle und multireligiöse Welt der späten Neuzeit, die eine jahrtausendlange Dominanz von Religionen und Kirchen auf den verschiedenen Kontinenten abgelöst hat, leider nun auch bei katholischen Denkern und Würdenträgern zum Verlust der reinen und der praktischen Vernunft geführt hat, und dies nur wegen subjektiver Affekte wie Verunsicherung, Panik und – vor allem – Angst vor Bedeutungs- und damit Machtverlust.)

(Kurzer zweiter Einschub: Wenn ich die Interventionen des Monsignore Carlo Maria Viganò in neuster Zeit, aber auch vor Monaten, bedenke, scheint mir übrigens eine alte üble Verschwörungstheorie, die Freimaurer und Jesuiten in einen Topf warf, wieder aufgekocht zu werden. Papa Francesco und Bill Gates in einem Club der Weltverschwörer – was haben solche Leute für eine kranke Fantasie! Donald Trump und Jair Bolsonaro, die würden es vielleicht noch glauben.)

Nun denn also, nachdem der Bundesrat auch katholische Eucharistiefeiern auf Pfingsten hin wieder unter Auflagen und im Wissen um die Bemühungen der Bistümer erlaubt, mein bescheidener Einwand, der sich seit Anfang März in meinen grauen Zellen und meinen die Tasten bewegenden Fingern niedergelassen hat, aber nie formuliert wurde. Ich war nun unter anderem an die 26 Jahre Pfarrer der beiden St.Galler Vorortpfarreien Abtwil (Kirche mit 450 Sitzplätzen) und Engelburg (300). Ich verstehe, dass Gottesdienste mit einer grösseren Anzahl von Teilnehmenden untersagt wurden. Ich sehe gute Gründe dafür. Aber ich sah und sehe keine guten Gründe, warum auch die Werktagsgottesdienste mit im Durchschnitt 20 bis 30 Teilnehmenden untersagt wurden. In diesen grossen Kirchen hätten sich diese Meschen bestens mit Abständen von über 5 Metern verteilen können, es wäre nicht unnötig gesungen worden, es hätte nie eine gesundheitliche Gefahr bestanden. Mein alter Studienkollege, GV Markus aus Solothurn, hat mir erklärt, dass eben auch solche Gottesdienste für Vater Staat unter das Versammlungsverbot von Gruppen über 5 Personen gefallen wären. Dazu meine Anmerkungen: Ist eine Werktagseucharistiefeier eine blosse «Versammlung»? Und: Warum hat man den treusten Seelen der Gemeinden das ohne Sinn und Zweck weggenommen?

Bildquellen

  • Sacro Cuore: www.trail.ch
24. Mai 2020 | 06:00
von Heinz Angehrn
Lesezeit: ca. 2 Min.
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2 Gedanken zu „Lock-Down und Kirche

  • stadler karl sagt:

    Herr Angehrn, aus der Sicht der betroffenen Menschen, die in grösseren Gotteshäusern am Werktag relativ regelmässig den Gottesdienst besuchen, treffen Ihre Anmerkungen gewiss zu und sind nachvollziehbar. Sie stellen die rhetorische Frage, ob eine Eucharistiefeier eine blosse “Versammlung” sei? In den Augen eines säkularen Staates vermutlich schon und auch das Virus kennt da keine Unterschiede. Aber mit dem Verbot, während der ersten Phase der Corona-Krise u.a. Gottesdienste abzuhalten, wurde formal-rechtlich in Bezug auf Eucharistiefeiern nicht das Grundrecht der Versammlungsfreiheit tangiert, zumindest nicht in erster Linie, sondern viel eher das Grundrecht der Glaubens- und Gewissenfreiheit. Natürlich war dieses Verbot, wie auch andere Verbote auch, ein Eingriff in die Grundrechte. Persönlich bin ich aber davon überzeugt, dass dieser notrechtliche Eingriff, gestützt auf das Epidemiegesetz (Ausrufung der ausserordentlichen Lage) und auch gestützt auf Artikel 36 BV abgedeckt ist.
    Sie müssen sich aber auch in die Entscheidungssituation des Bundesrates hineinversetzen: Wahrscheinlich gäbe es viele Konstellationen, wo man sehr wohl argumentieren könnte, dass Versammlungen von mehr als fünf Personen unter Bedingungen abgehalten werden können, wo eine direkte Gesundheitsgefährdung nicht besteht. Aber in der ersten Hälfte März begann das Corona-Virus auch über die CH herzufallen, anfänglich konzentriert im Tesssin, bald danach verstärkt auch an andern Orten, insbesondere in der Westschweiz. Niemand, selbst die Wissenschafter, Epidemiologen oder Virologen, konnten anfänglich mit Sicherheit und gutem Gewissen prognostizieren, wie sich die Pandemie konkret entwickeln wird. Die Wissenschaft hatte wahrscheinlich einfach gewissse empirische Musterverläufe vor Augen, bei aller verbleibender Unberechenbarkeit. Da geriet der Bundesrat doch ganz erheblich unter Druck und es musste sehr schnell gehandelt werden. Nach meiner Ansicht gab es da nur eine Lösung: Ohne wenn und aber ganz klare, eingreifende Regelungen zu erlassen, möglichst sachspezifisch einheitlich und nur wirklich dringend nötige Ausnahmen zuzulassen und sich nicht gross auf Diskussionen einzulassen. Liesse sich der BR in einer solchen Situation allzu sehr auf Diskussionen ein, wären wahrscheinlich wirksame Massnahmen gar nicht möglich oder zu kontrollieren. Natürlich sind das markante Einschränkungen der Grundrechte. Aber es war doch in keiner Weise ein “Angriff” auf bestehende Grundrechte, wie z.B. gewisse intellektuelle Meinungsmacher auch in Schweizer Medien uns glauben machen wollten. Man kam sich, wenn man gewisse Medienbeiträge las, einmal mehr vor, als sei man unfähig, selber zu denken und überdies ausschliesslich einem Herdenverhalten verfallen. Bloss: Den selbsternannten Vordenkern würde ein wenig nachdenken auch nicht schaden.
    Eine andere Frage, da bin ich sofort einverstanden, ist, ob Gottesdientse weiterhin verboten bleiben durften, bei bestehenden Schutzkonzepten, nachdem die Beizen unter Auflagen öffnen durften. Aber diese Frage hat sich ja mittlerweile erledigt.

    • Patrick Bernold sagt:

      Danke, Heinz Angehrn! Ich teile Ihre Meinung bzw. Frage nicht nur betreffend die Werktagsgottesdienste – sondern halt, tut mir leid, generell während der ganzen Corona-Zeit für alle kirchlichen Räume, die genügend gross für oft ja nicht mehr so viele Teilnehmende von Gottesdiensten gewesen wären. Kurz vor dem Lockdown war ich in mehreren Gottesdiensten der Ostschweiz, wo das “Social Distancing” durchaus funktioniert hat.
      Aber vielleicht lernt die kath. Kirche für die nächste Pandemie doch noch dazu. Einfach sich sofort hinter sichern Mauern zu verstecken, teilweise in vorauseilendem Gehorsam noch strenger als die staatlichen Behörden zu agieren und ernsthaft glauben zu machen, mit Online-Angeboten und Seelsorge-Telefonaten könne man problemlos reale Gottesdienste bei den ChristInnen ersetzen, denen so etwas ein religiöses Grundbedürfnis geblieben ist, ist einfach ungenügend. Christine Lieberknecht, ehemalige Thüringer Ministerpräsidentin (CDU), vorher evangelische Pastorin, hat mir und anderen mit ihrer (deutschen) und durchaus differenzierten Kirchenkritik aus dem Herzen gesprochen (auch wenn ihr Kirchenoffizielle beider Konfessionen sofort widersprochen haben). Die Kirchen haben teilweise (!) leider in mehreren Ländern versagt in der Corona-Krise, so denken – ich sag es vorsichtig – neben mir doch einige. Wenn man diese Meinung teilt, muss man in keiner Weise auf der Linie von Verschwörungstheoretikern wie den von Ihnen genannten, für mich sehr unheilvollen “Würdenträgern” sein (Vigano, Müller, Eleganti…).
      Nicht so weit von Ihrer früheren Wirkungsstätte Abtwil entfernt, hat ein Gemeindeleiter etwa Folgendes an die Kirchentür schreiben lassen: “Gottesdienst ist Einkaufen für die Nachbarn. Gottesdienst ist ein Anruf im Spital… Gottesdienst ist eine Eucharistiefeier”… Ja, Nächstenliebe ist das alles – und auch gut gemeint! Aber wer ernsthaft “Gottesdienst” mit allen möglichen einfachen christlichen Solidaritätshandlungen gleichsetzt, nimmt wirklich spirituelle Menschen, denen reale Gottesdienste nach wie vor viel Trost (besonders jetzt in schwierigen Zeiten!) bedeuten, halt einfach nicht mehr ernst. Das ist halt für mich wie andere Betroffene wirklich traurig. Mir bleibt nur für mich und alle, welche die Hoffnung nicht aufgegeben haben: “Herr, erwecke deine Kirche – und fange bei mir an!” Beste Grüsse ins Tessin von einem einem ehemaligen Ministranten, Lektor/Kommunionhelfer, Pfarreirat in mehreren Pfarreien, erst 54.

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