Kirchentag in Berlin 
© Vera Rüttimann 2017
Vera Rüttimann

Kirchentag in Berlin: Impressionen von einer unvergesslichen Woche

140 000 Besucher. 2500 Veranstaltungen. 30 000 ehrenamtliche Helfer. 500 Jahre Reformation: Der Kirchentag in Berlin wirkt bei mir noch immer stark nach. Fünf Tage, die einem bezüglich Wetterverhältnisse, Besucherströme und Programmdichte alles abverlangten. Es ist schwer, Höhepunkte zu benennen, denn es gab so viele. Besonders interessant fand ich die verschiedenen thematischen Zentren, die sich an teils sehr coolen Orten befanden. So etwa die «Gerüst-Kirche» im Zentrum Jugend am Anhalter Bahnhof, von dem kriegsbedingt nur noch die Fassade steht. Oder das  »Themenzentrum Streitkultur» in der Emmauskirche in Kreuzberg und das «Regenbogen»-Zentrum im Kino Kosmos an der Karl-Marx-Allee. Mich zog es nicht so sehr zu den Messehallen am Funkturm, wo sich Prominente aus Politik, Kirche und Kultur die Ehre gaben oder gar zu Barack Obama, sondern zu solchen Zentren und zu Innenstadtkirchen wie die Zion-, Gethsemane- oder die Golgatha-Kirche, in denen es Kunst, Podien und Andachten vom Feinsten gab.

Selten empfand ich die Musik an einem Kirchentag so hochstehend wie diesmal. Eindrücklich etwa das Konzert der Berliner Philharmoniker auf dem Gendarmenmarkt in Berlin-Mitte, wo eine riesige Menschenmenge auf dem Boden, auf Treppen sitzend oder stehend still den Klängen lauschten. Wunderbar auch der Jazzgottesdienst zum 100. Geburtstag von Ella Fitzgerald in der Gethsemanekirche. Für das Konzert mit Nina Hagen blieb leider keine Zeit. Es war oft zum Verzweifeln, weil sich gute Veranstaltungen gleich mehrfach überschnitten. So dick war das Kirchentagesprogramm-Buch wohl noch nie.

Selten empfand ich das Kirchentagesprogramm so nahe an der gesellschaftlichen Wirklichkeit. So lud z.B.  die «Flüchtlingskirche» in Kreuzberg zu einem spannenden Programm ein, das teils von Flüchtlingen gestaltet wurde.

So stark wie selten waren Schweizer an diesem Kirchentag präsent. Das zeigte sich vor allem in der «ReformierBar» der Ev.-ref. Landeskirche des Kantons Zürich, wo sich etliche Prominente wie etwa Grossmünster Pfarrer Christoph Sigrist auf einem Podium den Fragen stellten. Die reformierte Kirche Schweiz trat in Berlin selbstbewusst auf und zeigte, dass es neben Luther auch eine Reformation mit schweizerischer Prägung gab.

Endlich konnte ich auch Pierre Stutz, einer der Stars an Kirchentagen und Katholikentagen, persönlich kennen lernen, als er in einer Kirche im Prenzlauer Berg unweit meiner Wohnung sein neues Buch «Lass dich nicht im Stich. Die spirituelle Botschaft von Ärger, Zorn und Wut» vorstellte.

Weiter waren Luke Gasser, Autor, Filmemacher und Rockmusiker aus Kägiswil und der Luzerner Regisseur Benjamin Heisenberg im Kulturprogramm des Berliner Kirchentages vertreten. Kulturkirchen wie St. Matthäus am Kulturforum boten Künstler eine Plattform für ihre Performances.

An Kirchentagen mischen zudem längt auch Katholiken mit. Das Erzbistum Berlin beteiligte sich sich mit seinem «Kirchenschiff» an einer katholisch geprägten Stadttour auf der Spree. Das war ziemlich schräg. Auf dem Wasser herrschte am Samstag ein grosses Gedränge, denn gleichzeitig waren an diesem Tag auch die Anhänger der Borussia Dortmund auf der Spree mit einem Schiff unterwegs. Gelb und Orangen waren die Grundfarben des Kirchentag-Wochenendes.

Jeden Abend gab es von 21.30-23.00 einen Tagesaausklang mit Text und Musik in einer Kirche oder Kapelle. Mich zog es mehrfach in die Kapelle der Versöhnung auf dem ehemaligen Todesstreifen und ins Gutenacht-Cafe des kirchlichen Gemeinschaftsgartens »Niemands Land». In dieser Zeit war es am Kirchentag für einmal ganz still.

Nur die wenigsten aus meinem Umfeld reisten nach einem turbulenten Samstag, wo die Sonne alles gab, am folgenden Morgen zum Abschlussgottesdienst nach Lutherstadt-Wittenberg. Viele, auch in der Zionskirche, waren damit beschäftigt, dass die Leinwand für die Übertragung stand, der Ton funktionierte und die Kirchentag-Papphocker am richtigen Ort standen. Nach den Reden von Heinrich Bedford-Strohm, Margot Kässmann und Co. trafen sich vielerorts die Gemeindemitglieder zu Sekt und Häppchen und blickten auf eine wahrlich unvergessliche Woche zurück.

 

 

 

 

 

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Kirchentag in Berlin © Vera Rüttimann 2017
2. Juni 2017 | 02:14
von Vera Rüttimann
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