Heinz Angehrn

Keine Wahrheit ist unangreifbar

Soweit der zweite der neun NZZ-Leitsätze. Wie einfach und wie wahr zunächst. Wissen wir doch schon seit des Alten Wirken in Königsberg, dass es absolute Wahrheiten nur innerhalb theoretisch geschlossener Systeme geben kann, also etwa in der reinen Mathematik (eine Erkenntnis, die deutlich später von Ludwig Wittgenstein weitergedacht und in den «Philosophischen Untersuchungen» anhand des Begriffs der «Sprachspiele» auch auf nicht rein theoretisches Definieren, nämlich das innerhalb klar geschlossener sozialer Gruppen existierende, weitergedacht wurde).

Nun aber treten fast alle Religionen genau mit dem seit Kant widerlegten Anspruch auf, dass sie nämlich im Besitz absoluter Wahrheiten sind, und dass genau diese Wahrheiten Mensch und Menschheit retten, sprich zur Vollendung in ihrer Endlichkeit führen können. So definierte Luther etwa, dass allein die Gnade und nicht die Werke gerecht und selig machen. So erklärt das Judentum den Gottesnamen JHWH für unaussprechbar und damit der Nennung verboten. So verbieten viele im Islam, dass der Prophet irgendwie abgebildet werden darf. So beharrt seit JP II der Katholizismus darauf, dass die Frage der Ordination der Frau für immer negativ entschieden sei. Und so fort…

(Um nun wieder Wittgenstein zu zitieren: Natürlich sind das alles Sprachspiele, die nur innerhalb einer konkreten Glaubensgemeinschaft als allgemein gültig und unhinterfragbar erklärt werden können. Und wenn eine Religion wie das Judentum in liberale und orthodoxe Gruppen, und wenn die katholische Kirche ebenso in konservative und in der Moderne zugewandte Gruppen unterteilt werden kann, sind diese Sprachspiele nicht einmal in der gesamten Religion absolut wahr und gültig.)

Es folgert darum aufgrund von philosophischer Logik und intellektueller Redlichkeit, dass es genau in religiösen und theologischen Fragen keine einzige Wahrheit gibt, die nicht bestritten bzw. angegriffen werden darf. Der (vgl. H.Küng und seine Trias) Dialog zwischen den Religionen und die von ihnen geforderte Grundlagenforschung machen dies sogar notwendig. Denn nur so könnte eventuell weltweit Frieden in Gerechtigkeit gesichert werden. Wer absolutistisch auf seinen eigenen absoluten Wahrheiten beharrt, mag sich zwar in Sicherheit wiegen, gefährdet aber ein friedliches Zusammenleben der Menschheit. Alles, was uns im Umfeld des militanten Islamismus in den letzten 20 Jahren begegnet ist, bestätigt diese harte These.

Ich bleibe zum Schluss nun bei meiner Kirche. Ist es unter den Bedingungen des 21.Jahrhunderts überhaupt noch verantwortbar, das von JP II erlassene Denkverbot in Sachen Frauenordination (zudem immer noch mit einem fragwürdig-dummen Bezug auf die reine Männerschar um Jesus von Nazareth vor über 2000 Jahren) aufrecht zu erhalten? Liebe Lesende, die meisten von Ihnen kennen ja längst meine These: Wenn man zur katholikalen Sekte werden will: Ja. Ansonsten: Nein.

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27. September 2020 | 06:00
von Heinz Angehrn
Lesezeit: ca. 2 Min.
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Ein Gedanke zu „Keine Wahrheit ist unangreifbar

  • stadler karl sagt:

    Aber, Herr Angehrn, zu Ihren sehr interessanten Äusserungen gälte es vielleicht noch folgende Anmerkungen anzubringen: Kant äussert sich ja, wie Sie feststellen, in der Kritik der reinen Vernunft vor allem zur Frage der Bedingung der Möglichkeit von Erkenntnis, in diesem Zusammenhang zu Aussagen oder Urteilen theoretischer oder eben deskriptiver Natur. Der Alte aus Königsberg, wie Sie ihn respektvoll nennen, hat mit diesem Werk auch den Streit enfacht, ob es denn synthetische Urteile a priori überhaupt geben kann, d.h. ob solche Urteile überhaupt möglich sind, was er in Bezug auf die Mathematik als gesamtes bekanntlich bejahte. Es gibt allerdings Mathematiker, die diese Ansicht nicht teilen, bzw. behaupten, dass mathematische Urteile immer nur analytisch, und damit auch a priori wahr seien.
    Die Frage von (absoluter) Wahrheit stellt sich doch erst dann, wenn Urteile nicht mehr analythisch sind, also inhaltlich nicht leere Urteile oder Aussagen. Aussagen also, deren Prädikate nicht bereits begrifflich im ausgesagten Gegenstand enthalten sind. Wenn es sich also um synthetische Urteile oder Aussagen handelt, die a posteriori zustande kommen (infolge einer methodologisch streng empirischen Untersuchung zum Beispiel, man denke zum Beispiel an die Wissenschaftsdisiplinen, die sich mit der Klimaentwicklung befassen), dann handelt es sich ja um Urteile, die inhaltlich nicht mehr leer sind, die einen empirischen Erkenntniswert aufzuweisen behaupten. Ob diesem Erkenntniswert ein Wahrheitsgehalt in positivem oder negativen Sinne zukommt, ob sie also wahr oder falsch sind, ist dann die Frage, über die allenfalls gestritten wird.
    Sie kommen auf Religionssysteme zu sprechen. Aber handelt es sich bei den zentralen Aussagen der meisten Religionen nicht zumeist um Aussagen normativer, und nicht deskiptiver Art und kann, streng genommen, wenn man einmal vom Wahrheitsbegriff des philosophischen Pragmatismus absieht, normativen Aussagen denn überhaupt Wahrheitsgehalt zukommen? Mit dieser Frage will aber nicht behauptet werden, dass normative Aussagen für die Bewältigung des menschlichen Daseins a priori wertlos seien!

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