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Thomas Boutellier

In Beziehung sein

Am Jublaversum stand ich, Kantonspräses von Jungwacht Blauring Solothurn und im anderen Job Verbandspräses des Verbandes katholischen Pfadi (VKP), mit vielen, vielen Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen vor der Bühne, auf der Bischof Markus Büchel Farben malte und alle gemeinsam den «Rägebögler» sangen. Das war gelebte Kirche, gerade auch mit Blick auf die vielen Reaktionen auf kath.ch.

Warum empfinde ich es als gelebte Kirche?

In der Pfadi gibt es die fünf Beziehungen: zur Welt/Natur, zur Persönlichkeit, zum Mitmenschen, zum Körper und zu Gott /zur Spiritualität. Die ganze Arbeit der Pfadi soll auf diesen fünf Beziehungen aufgebaut sein, und alle sind gleichranging. Das Spannende an diesem ganzheitlichen pädagogischen Konzept ist das Wort Beziehungen.

Was bedeutet es, wenn ein Mensch mit etwas oder jemandem in Beziehung steht? In Beziehung sein heisst, mit etwas eine Bindung einzugehen. Ich kann mich in die Beziehung hineindenken und mich bewusst damit auseinandersetzen. Die Beziehung ist ein integraler Bestandteil meines Lebens und meiner Persönlichkeit. Beziehungen müssen gelebt werden.

Wie und wem gegenüber wir unsere Beziehungen leben, bestimmt unsere Identität. Dass in den Jugendverbänden gerade diese Beziehungen ganzheitlich aufgenommen und gelebt werden, macht unsere Kinder und Jugendliche zu ganzen Menschen. Dass man Beziehungen hinterfragen darf und muss und dass sie sich ändern macht uns zu mündigen Menschen. Gerade diese Kultur wird in den Jugendverbänden tagtäglich gelebt.

In Beziehung mit der Kirche?

Jugendbischof Marian stellt die Frage, warum Kinder und Jugendliche nach vielen Jahren im Religionsunterricht, Firmunterricht und auch in den Jugendverbänden keine ihr Leben bestimmende Freundschaft mit Jesus haben. Das ist eine berechtigte Frage. Nur, wie soll sich die Freundschaft äussern? Im Besuch der Eucharistie? Im gemeinsamen Beten? Im Leben miteinander? In der Solidarität zu anderen?

Die Beziehung zu Gott ist für mich wie die Liebe. Warum liebe ich? Bei einem Menschen kann man das vielleicht besser festmachen, Treue, gemeinsame Interessen etc. Aber kann ich das Gefühl, welches in mir aufkommt, so genau ausdrücken? Weiss ich wie ich mich verhalten muss, damit meine Liebe erwidert wird? Mit der Beziehung zu Gott ist es doch genauso. Es ist ein Gefühl des Getragen-Sein. Wenn ich weiss, dass Gott mich liebt und die Kirche mich so annimmt, wie ich bin, dann bin ich in Beziehung mit Gott und der Kirche. Dazu braucht es nicht zwingend eine explizite Ausübung von Ritualen. Es braucht eben dieses Gefühl von Geborgenheit und Getragen-Sein.

Dann entsteht auch Freundschaft. Und wenn, wir in einem Menschen auch das Abbild Gottes sehen, bin ich davon überzeugt, dass auch die Freundschaft mit Jesus oder mit Gott entstehen kann.

Wenn die offizielle Kirche diesen Vorgang anerkennt, mit dieser Freundschaft im Herzen lebt und ihre Angebote entsprechend entwickelt. Dann wird die Kirche zu einer Mutter, die Geborgenheit gibt, wenn sie gesucht wird und immer da ist, wenn sie gebraucht wird. Zugegeben ein eher egoistisches Bild, aber wenn wir Jugendliche in ihrer Lebenswelt anschauen, dann funktioniert dies in der Familie auch so. Die Mutter ist selbstverständlich da, weil ich sie im Herzen trage, aber nutzen tue ich sie als 16 Jähriger nur, wenn ich es möchte, ich bin ja schliesslich schon gross und selbständig.

Gott trage ich auch im Herzen und ich «nutze» ihn auch indem ich bete, nicht immer das Vater unser, und auch nicht unbedingt in traditionellen Ritualen. Ich mache es so wie ich es im Herzen trage.

Jugendliche lebten schon immer aus dem Herzen heraus, wollten die Welt verändern und sich suchen. Das ist Teil des Erwachsenwerdens, war es auch bei uns, wenngleich wir als Erwachsene uns heute manchmal darüber aufregen.

Wenn also ein Jugendlicher, eine Jugendliche in die Kirche geht, oder am Lagerfeuer sitzt und Lieder singt, dann ist das eine wie das andere gelebte Freundschaft mit Gott. Nur wird es im ersten Fall explizit so genannt, im anderen Fall einfach gelebt und muss nicht so benannt werden, weil es  wie selbstverständlich für Jugendliche ist. Wie vieles bei Jugendlichen einfach so ist, wie es ist. Das darf ich als Vater immer wieder erleben und muss, wenn ich eine Antwort auf ein Tun erwarte: «Es ist eben so» Punkt, anhören und akzeptieren, ob ich will oder nicht.

In Beziehung sein und Freundschaft aufbauen

Trauen wir den Jugendlichen einfach mal zu in Beziehung zu gehen, in Beziehung zu Menschen, in Beziehung zur Schöpfung (auch wenn sie einfach Natur sagen), in Beziehung zu sich selbst. Trauen wir ihnen zu, dass sie von sich aus ins Staunen kommen, über das Unglaubliche dass sie erleben, wenn sie Beziehungen leben. Sie erfahren in Beziehungen Glück und manchmal auch Trauer. Und immer werden sie die Frage nach dem Warum stellen und dann zeigt sich die Freundschaft mit Gott.

Wenn wir als Jugendarbeiter und Jugendarbeiterinnen, Präses und Eltern bei den Jugendlichen sind, wenn wir ein offenes Ohr haben für ihre Anliegen, dann können wir diese Freundschaft zu Gott konkret machen. Wir als Kirche können Antworten anbieten, die der Fussballclub nicht hat. Und wir können auch darauf vertrauen, dass sie zu uns kommen, denn sie sind die suchende Generation.

Wenn Jugendliche Beziehung nicht erleben können, weil sie in ein Korsett geschnürt werden, weil es heisst: «du musst eine Freundschaft mit Gott und Jesus aufbauen», dann wird es nicht gelingen. Ich bin überzeugt, dass wenn Jugendliche ihre Beziehungen leben, sie immer wieder an den Punkt kommen, an dem sie sich fragen müssen, warum denn alles so ist. Dann werden sie in ihren Antworten Gott finden und Gott lieben lernen, auf ihre Art und in ihrer Ausprägung.

In Beziehung sein und einfach leben

Zurück zur Menge in der ich stand und «mini Farb und dini» sang. Vielleicht hat keines der Kinder und Jugendlichen beim Singen explizit an Gott gedacht. Aber alle haben die Gemeinschaft, das Aufgehoben-Sein gespürt. Alle haben sich gut und richtig gefühlt. War es vielleicht, weil Gott unter uns war und wir genauso wie Jesus mit vielen Menschen unterwegs waren?

 

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3. Oktober 2016 | 17:28
von Thomas Boutellier
Lesezeit: ca. 4 Min.
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