Bruder Klaus und Gefährten

In 10 Tagen verlässt Niklaus die Familie – oder ist er schon weg, irgendwie?

Wir schreiben den 6. Oktober 1467. In zehn Tagen wird Niklaus von Flüe die Familie verlassen, mit dem Einverständnis seiner Frau und seiner ältesten Söhne. Geht er in 10 Tagen? Oder ist er schon weg, irgendwie?

Vieles spricht dafür, dass es kein dramatischer Abschied wurde, sondern das Ende eines quälend langsamen Prozesses war, der sich über Jahre hinwegzog. Zu den Entdeckungen dieses Gedenkjahres gehören für mich der Film und das Buch von Luke Gasser. Kongenial beschreibt und zeigt er darin, wie Niklaus von Flüe sich selbst und seiner Familie abhanden kam. Besonders in Erinnerung ist mir die Szene, in der sich Hans von Flüe, der älteste Sohn, dazu durchringt, den Segen zu sprechen und das Brot zu brechen, weil der Vater dazu nicht mehr in der Lage ist.

Der Weggang war ein «Abbruch»

In dieser Schlüsselszene wird einem plötzlich bewusst, wie sehr die ganze Familie mit und um den Vater litt und wie die Entfernung zwischen ihnen wuchs, bereits am Familientisch. Und mit dem Sprechen des Segens und dem Brechen des Brotes übernahm Hans die Stelle des Vaters, wurde zum Oberhaupt einer zutiefst verunsicherten und verstörten Familie. In der Familie, dies wird hier plötzlich deutlich, fand der Abschied schon vor dem 16. Oktober statt, irgendwann vorher.

Diese packende Szene ist der Vorstellungskraft des gebürtigen Obwaldner Landammannsohns entsprungen. Historisch gesichert ist die Schilderung von Welti von Flüe, dem zweitältesten Sohn. Dem unbekannten Autor, der 1488 Zeugenaussagen von Nachbarn, befreundeten Priestern und den beiden ältesten Söhnen festhielt, schilderte er eine Vision des Niklaus von Flüe und legte sie zeitlich auf den Anfangs seines «Abbruchs» fest. Ja, dieses Weggehen war keine Lösung, kein Loslassen, es war ein Abbruch, ein Bruch mit dem bisherigen Leben und mit den Menschen, die ihm am nächsten standen.

Wir kennen den Ausgang dieser Geschichte, die von Flües auf dem Schübelacher wussten dies nicht. Damals noch nicht.

Roland Gröbli

 

 

Literaturhinweis: Luke Gasser: Und essen mag er auch nicht mehr. Eine historische Erzählung. (Weltbild Verlag) Olten 2017.

Hans von Flüe berichtet vom Weggehen des Vaters. (Ausschnitt aus dem Film von Luke Gasser, Ein Mann in Pilgers Art, Schweizer Fernsehen 2017)
6. Oktober 2017 | 00:03
von Bruder Klaus und Gefährten
Lesezeit: ca. 1 Min.
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