Bettina Flick

Ich höre dein Gebet – interreligiöse Feier zum Bettag

Ich höre dein Gebet – aus Zuhören entsteht Respekt

So hiess das Motto der diesjährigen interreligiösen Feier zum Bettag in St Gallen.

Bei teilweise sonnigem, teilweise kühlen Wetter sind wir versammelt auf dem Rasen zwischen der Kathedrale und den Regierungsgebäuden. Ein grosser hufeisenförmiger Tisch mit weissen Decken ist aufgestellt. Unter Alphornklang ziehen Vertreterinnen und Vertreter von sieben Weltreligionen ein und nehmen Platz am Tisch. Die Reihenfolge wird durch das Alter der Weltreligion bestimmt – zuerst die Hindu, als letztes die Bahai. Es hat Frauen, Männer und Jugendliche, teils in zeremoniellen Gewändern, teils in Zivil. Bei der Eingangs-Ansprache von Regierungsrat Klöti wird klar: Die interreligiöse Feier zum Bettag in St Gallen hat schon Tradition. 2005 hat die erste stattgefunden, zum grossen Teil mit den gleichen Akteuren. Der Regierungsrat begrüsst sie mit «liebe Freunde».

Gebete

Im Gebetsteil betet und singt jede Religionsgemeinschaft ein Gebet aus der jeweiligen Tradition, manche haben auch Instrumente dabei. Der Rabbiner Tovia Ben-Chorin erklärt das Schofar-Horn, weist darauf hin, dass auch die Hindu ein Blasinstrument dabeihaben und ist erleichtert, dass das Schofar-Horn nicht so lang ist wie ein Alphorn, dann wäre der Transport wohl schwieriger. Das Lächeln, das er hervorruft, tut gut im sonst eher ernsten Ablauf. Nach jedem Gebetsteil wird ein grosser Gong angeschlagen, die nächste Religionsgemeinschaft kurz angekündigt. Die Texte werden teilweise auf Deutsch gesungen oder gelesen, alle kann man im Textheft mitlesen. Nur die Vertreter der christlichen Kirchen laden ein, mitzusingen beim Vater unser / Unser Vater. Die Noten im Textheft stimmen zwar nicht ganz mit der gesungenen Melodie überein, aber auch so bleibt der Gesang der Teilnehmenden kaum hörbar.

Zwischendurch schaue ich mich um: Wer wohl an so einer interreligiösen Feier teilnimmt? Ich freue mich, Frauen mit Kopftuch zu sehen. So ist erkennbar, dass sie als Muslima hier teilnehmen. Auch ein paar junge Männer sehe ich, von denen ich vermute, dass sie aus Eritrea stammen, also als Flüchtlinge hier sind. Ja, es sind Menschen verschiedener Hautfarbe und verschiedenen Traditionen da, nicht nur idealistische Schweizerinnen und Schweizer, auch wenn diese sicherlich die grosse Mehrheit bilden – wir bilden ja auch die Mehrheit hier im Land und in der Stadt.

Es ist spannend, abwechslungsreich, berührend, den einzelnen Gesängen zu lauschen, die Gebete auf sich wirken zu lassen. Vielleicht ist es auch nur der kühle Wind und die kalten Füsse, die mich aufatmen lassen, dass «nur» sieben Weltreligionen vertreten sind, keine zehn, was geheissen hätte, dass es nochmal 30 Minuten länger gedauert hätte.

St Galler Erklärung

Zum Abschluss wird– wie schon zum Beginn –  Bezug genommen auf die St Galler Erklärung (St Galler Erklärung), ein Dokument, das sich klar bekennt zu einem Miteinander der Religionen im Respekt und in der Wahrung der Menschenrechte. Die anwesenden Religionsgemeinschaften haben das Dokument unterzeichnet, auch Einzelpersonen sind eingeladen, dies zu tun.

Nun bringen Kinder und Jugendliche den Apero herbei, Zeit, sich zu bewegen und aufzuwärmen, Zeit zur persönlichen Begegnung.

Ich bin dankbar, dass so eine Feier bei uns möglich ist. Stadt und Regierung sind vertreten, die meisten Religionsgemeinschaften, die hier bei uns leben, auch. Wir hören einander im Gebet, wir nehmen das Verschiedene und das Ähnliche wahr, wir werden miteinander vertraut. Es vermischt sich nichts, jede Religion zeigt sich mit ihrer eigenen Couleur. Ja, so kann Respekt und Vertrauen wachsen!

Ich frage mich zwar, warum die Frau, die die einzelnen Religionsgemeinschaften vorstellt, einen kurzen Rock tragen muss – wohl eher nicht wegen der eher kühlen Temperaturen. Ich hoffe, es provoziert keine der anwesenden ReligionsvertreterInnen. Aber das ist im Grossen der Veranstaltung ein kleiner, nebensächlicher Schönheitsfehler.

Mir kommt der Text wieder in den Sinn, denn ich 2006 geschrieben habe, als ich anlässlich des Bodenseekirchentags am gleichen Ort einer interreligiösen Feier beiwohnte:

 

Im Schatten der Kathedrale

Jahrhunderte haben hier Mönche
gesungen, gebetet, geschwiegen
ihren Gott, unseren Gott
gesucht und gefunden.

 

Heute sitzen wir im Gras
Muslim und Sikh, Christen,
Buddhisten, Hindu, Bahai.

 

Der Wind bläst uns sanft ins Gesicht –
Zärtlichkeit Gottes, die berührt.

 

Jede singt in ihrer, in seiner Sprache,
Lob und Bitte,
Segen und Vergebung.

 

Stille berührt

 

Der Gong führt uns weiter.

 

Und du?

 

Namenloser, du bist in unserer Mitte.
Vielgepriesene, du schaffst dir Lob
Friedensgott, du schenkst dich ganz.

 

Möge der Friede, der hier unter uns spürbar ist,
in die Welt eilen, uns voraus.
Herzen berühren
Vergebung erwirken.
Einheit in der Vielfalt ermöglichen.

 

Bettina Flick 05/2006

 

 

 

 

 

interreligiöser Bettag St Gallen
19. September 2017 | 21:56
von Bettina Flick
Lesezeit: ca. 3 Min.
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