Dies ist ein Gemälde von Bruder Joseph Joyson, einem Kapuziner in Indien. Das Modell, das für dieses Gemälde sass, heisst Ponnamma. Die Mutter und Witwe aus armen Verhältnissen kommt zur Kunsthochschule und verdient sich ein wenig als Modell für Malschüler. Sie unterstützt mit diesem Geld ihre Familie. Ein hartes Leben als Mutter. Bild: © 2015 GFX

«Das Mutterherz ist der schönste und unverlierbare Platz des Sohnes, selbst wenn er schon graue Haare trägt. Und jeder hat im ganzen Weltall nur ein einziges solches Herz».
Adalbert Stifter (österreichischer Schriftsteller)
George Francis Xavier

Ich habe meine Mutter an meiner Seite

Die Mutterschaft ist eine der süssesten, längsten und anmutigsten Erfahrungen auf dieser Erde. Robert Browning hat einmal über die Mutterschaft gesagt: «Alle Liebe beginnt und endet dort».

 

Der Bollywood-Film mit dem Titel «Deewar» ist für seine immergrüne, ikonische und kraftvollen Bilder und Texte bekannt, die zum Beispiel auch der Schauspieler Shashi Kapoor mit der seiner Aussage liefert: «Mere Paas Maa Hai». Dies bedeutet übersetzt: «Ich habe Mutter auf meiner Seite».
Im Film werden zwei Brüder gegeneinander ausgespielt. Während der eine ein Lebemann und Gauner ist, ist der andere ein ehrlicher und an gute Prinzipien gebundener Mann. Der Lebemann holt mit wortgewaltigem Monolog zu einen mächtigen Schlag aus und präsentiert seinem Bruder all die weltlichen Besitztümer, die ihm zur Verfügung stehen (Fahrzeuge, Gebäude, Immobilien, Bankguthaben). In einer Welt, in der Erfolg mit solchen Besitztümern definiert wird, macht die kurze Vier-Worte-Antwort des jüngeren Bruders sprachlos. «Mere Paas Mai Hai»; Diese Vier Worte «Mere Paas Mai Hai» schmettern all die materiellen Besitztümern weg im Vergleich mit der Bedeutung einer Mutter.

 

Die Mutter ist eine immerwährende Lehrerin, manchmal auch, wie ein weiblicher Guru, eine Gurama, die im Leben einen bleibenden Eindruck hinterlässt. Ich erinnere mich an das, was einst ein Kapuzinermitbruder über die letzten Worte Jesu am Kreuz gesagt hat. «Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände!» (Lukas 23:46) Das seien die Worte, die eine jüdische Mutter ihren Kindern beibringt, bevor sie schlafen gehen. Im schweren Moment am Kreuz, als Jesus befürchtete, dass Gott ihn alleine liess, erinnert er sich also an das Gebet, das ihm seine Mutter beigebracht hat. Die Werte, die wir mit der Muttermilch aufnehmen, bleiben für immer. Der bekannte indischer Text, Manusmriti (Gesetzbuch des Manu), von denen einige aus dem 2. Jahrhundert v. Chr. stammen, halten fest: «Ein spiritueller Lehrer übersteigt zehnmal einen weltlichen Lehrer, ein Vater übersteigt hundertmal einen spirituellen Lehrer, aber eine Mutter übersteigt tausendmal die Ehre eines Vaters, der auch als Erzieher seines Kindes wirkt».

 

Mutter zu sein ist wohl einzigartig! Aus Gründen des Geschlechtergleichgewichts hören wir in heutiger Theologie oft auch Worte wie «mütterlicher Vater», «Gott, wie eine Mutter und wie ein Vater», oder «mütterliche Menschen», usw. Um Gott zu erklären, werden viele Allegorien der Mutterschaft miteinbezogen. Der Vater Gott wird auch zur Frau und Mutter. Gott verglich oft seine Liebe zu seinem Volk mit der Liebe einer Mutter zu ihrem Kind. Als sich zum Beispiel die Israeliten während ihres Exils von Gott verlassen fühlten, beklagt sich der Prophet Jesaja im Vers 49,14: «Der Herr hat mich verlassen, Gott hat mich vergessen». Aber Gott antwortet ihm und uns unmittelbar im folgenden Vers: «Kann denn eine Mutter ihr Kindlein vergessen, eine Mutter ihren leiblichen Sohn? Und selbst wenn sie ihn vergessen würde: ich vergesse dich nicht».

 

Obwohl in patriarchalen Kontexten geschrieben, bezieht sich die Bibel selbst nicht ausschliesslich auf männliche Metaphern. Wir vernehmen von Gott als Mann, aber Jesus vergleicht ihn bei Lukas 13:34 auch wie eine Glucke: «Jerusalem, Jerusalem, (…) wie oft wollte ich deine Kinder sammeln, so wie eine Henne ihre Küken unter ihre Flügel nimmt …». Dieses Mutterbild trägt Jesus auch ins letzte Abendmahl. Er wäscht die Füsse

Eine Schwanenfamilie © 2017 GFX

seiner Jünger genauso achtsam wie eine Mutter, die ihre Babys wäscht. Wie eine Glucke ihre Küken füttert, dient Jesus mit Brot und Wein und wird ihr Essen.  Er bietet sich letztlich selbst an. Jesus wurde zur Mutter, deshalb schreibt Johannes in Vers 13:25 zu diesem Abend auch, dass er «an der Brust Jesu ruhte – genauso wie ein Kind an der Brust seiner Mutter ruhen darf.

 

In unserer heutigen Welt, in dem sich Menschen immer mehr auch entscheidet, keine Kinder zu haben oder nicht biologisch Mutter zu werden, gewinnt für uns alle die Bedeutung von «im Herzen Mutter zu werden». Rajneesh Osho, ein berühmter Guru aus Indien, sagt: «In dem Moment, in dem ein Kind geboren wird, wird auch die Mutter geboren. Sie hat noch nie zuvor existiert. Die Frau existierte, aber die Mutter niemals. Eine Mutter ist etwas absolut Neues».

 

Mutterfigur zu sein, ist mehr als eine Einstellung oder eine Anatomie. Mutterfiguren können männlich oder weiblich, jung oder alt, familiär oder fremd sein. Wie können wir selbst aber Mutterfiguren werden? Dazu gefallen mir die Worte des 1892 verstorbenen Schweizer Kardinals Mermillod. Er  sagte: «Eine Mutter ist diejenige, die den Platz aller anderen einnehmen kann, aber deren Platz niemand sonst einnehmen kann».

 

Lasst uns einen Platz in den Herzen anderer einnehmen, den sonst niemand einnehmen kann. Dann werden unsere Mitmenschen in Zeiten von Schwierigkeiten und Krisen wie im Bollywood-Film sagen können, «Mere Paas Maa Hai», «Ich habe meine Mutter an meiner Seite».

Dies ist ein Gemälde von Bruder Joseph Joyson, einem Kapuziner in Indien. Das Modell, das für dieses Gemälde sass, heisst Ponnamma. Die Mutter und Witwe aus armen Verhältnissen kommt zur Kunsthochschule und verdient sich ein wenig als Modell für Malschüler. Sie unterstützt mit diesem Geld ihre Familie. Ein hartes Leben als Mutter. Bild: © 2015 GFX
«Das Mutterherz ist der schönste und unverlierbare Platz des Sohnes, selbst wenn er schon graue Haare trägt. Und jeder hat im ganzen Weltall nur ein einziges solches Herz».
Adalbert Stifter (österreichischer Schriftsteller)

Bildquellen

  • Eine Schwanenfamilie © 2015 GFX: Bildrechte beim Autor
  • Dies ist ein Gemälde von Bruder Joseph Joyson, einem Kapuziner in Indien. Das Modell, das für dieses Gemälde sass, heisst Ponnamma. Die Mutter und Witwe aus armen Verhältnissen kommt zur Kunsthochschule und verdient sich ein wenig als Modell für Malschüler. Sie unterstützt mit diesem Geld ihre Familie. Ein hartes Leben als Mutter. Bild: © 2015 GFX «Das Mutterherz ist der schönste und unverlierbare Platz des Sohnes, selbst wenn er schon graue Haare trägt. Und jeder hat im ganzen Weltall nur ein einziges solches Herz». Adalbert Stifter (österreichischer Schriftsteller): Bildrechte beim Autor
Dies ist ein Gemälde von Bruder Joseph Joyson, einem Kapuziner in Indien. Das Modell, das für dieses Gemälde sass, heisst Ponnamma. Die Mutter und Witwe aus armen Verhältnissen kommt zur Kunsthochschule und verdient sich ein wenig als Modell für Malschüler. Sie unterstützt mit diesem Geld ihre Familie. Ein hartes Leben als Mutter. Bild: © 2015 GFX «Das Mutterherz ist der schönste und unverlierbare Platz des Sohnes, selbst wenn er schon graue Haare trägt. Und jeder hat im ganzen Weltall nur ein einziges solches Herz». Adalbert Stifter (österreichischer Schriftsteller)
12. Mai 2018 | 21:01
von George Francis Xavier
Lesezeit: ca. 4 Min.
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