Heinz Angehrn

Homokis zweiter Teil

Gestern hatte die «Walküre», Richard Wagners wohl populärstes Werk, Premiere in Zürich. Intendant Andreas Homoki und sein Ausstatter Christian Schmidt lassen – wie vom Schreiber hier schon als Befürchtung nach dem «Rheingold» geraunt (Stabreime müssen hier einfach sein) – den ganze 16 Stunden füllenden «Ring des Nibelungen» auf einer Drehbühne spielen. Das ermöglicht einerseits schnellen Umbau, engt aber die Gestaltungsmöglichkeiten auch ein. So irren nun nach den Rheintöchtern auch die Walküren und ihre nicht sehr heldenhaften gefallenen Helden (der einzig komödiantische Punkt in einer ansonsten bewusst als düstere Tragödie um Einzelschicksale angelegen Inszenierung) durch die blütenweissen möbellosen Gemächer von Walhall. Einzig das Wiederkehren des Thronsaals macht einmal guten Sinn, denn Wotan kehrt so nach dem Abschied von Brünnhilde als gebrochener Mann dorthin zurück; doch dass dort auch das fatale Finale des zweiten Aktes spielen muss und Siegmund und Hunding quasi zwischen den Stühlen liegen, ist lästig. Der grosse Baum, in dem Nothung steckt, und der Walkürenfelsen (als riesige zweigesichtige Morla, die Schildkröte aus der «Unendlichen Geschichte», gestaltet) werden vorübergehend in die Räume geschoben.

Ist das Bühnenbild also gewöhnungsbedürftig (doch welche in den vielen Homoki-Inszenierungen waren das nicht?), ist sein Regieansatz bewusst konservativ und unspektakulär. Walküren sind Walküren, mit Schild, Speer und Pferdeattribut. Siegmund ist der wilde Kerl aus dem Wald, Hunding steckt im Pelz (Homoki: In dieser Welt sind fast alle Männer Hundinge, das Patriarchat ist/war? eben so), und Fricka, die böse rachsüchtige Göttergemahlin, rauscht in Garderobe durch das Schloss. Die Geschichte wird uns erzählt, wie Wagner sie gedacht hat, das tut gut nach dem groben Unfug, den wir aus Bayreuth mitbekommen haben. Doch Homoki vertieft die Schicksale bewusst, Siegmund und Sieglindes Liebe hat in dieser durch Macho-Rituale geprägten Welt keine Chance, nur Brünnhilde überwindet sie mit Empathie und Willenskraft – schon der klare Ausblick auf das Finale der «Götterdämmerung». Und so gehört diese «Walküre» am Ende nicht der titelgebenden Protagonistin, sondern dem völlig gescheiterten Obergott, der nachdem er seine Tochter in ewigen Schlaf geküsst hat, heulend und machtlos zusammenbricht – das wohl stärkste Bild des Abends.

Gianandrea Nosedas Dirigat war die grösste Einzelleistung des Abends. Wann hat man den Ring quasi kammermusikalisch gehört wie bei ihm im Anfang zur Erzählung Wotans im zweiten Akt? Und Tomasz Konieczny dankte es ihm mit einer gegenüber dem «Rheingold» deutlich weniger nach Routine als nach Begeisterung tönenden Gestaltung seiner Rolle, ihm gehörte zu Recht der grösste Applaus. Eric Cutler und Daniela Köhler als Wälsungenpaar liessen im ersten Akt Erinnerungen an James King und Leonie Rysanek aufkommen, sie hätten auch mit einem lauteren Orchester mitgehalten. Camilla Nylund singt in Zürich ihre erste Brünnhilde, noch etwas vorsichtig mit angezogener Bremse, doch dürfte sie das in den kommenden Aufführungen steigern können.

Ein gescheiter Ansatz, dieser Zürcher «Ring», nichts für Leute, die sich gerne an gewagten Neuinterpretationen laben. Gottseidank, man darf die Augen immer offen lassen! Bis Oktober folgen weitere Aufführungen, der ganze Ring en bloc ist wohl 2024 zu erwarten. Und sie dreht sich und dreht sich, die Bühne. Was macht wohl Jung-Siegfried in diesem Gemäuer?

Bildquellen

  • : opernhaus zürich
19. September 2022 | 08:00
von Heinz Angehrn
Lesezeit: ca. 2 Min.
Teilen Sie diesen Artikel!