Vera Rüttimann

Grand Prix Jean Tinguely – Ode an das Leben

Nachtrag zu einem grossartigen Erlebnis, das am vergangenen Samstag in Freiburg stattgefunden hat. Ein Vierteljahrhundert nach dem Tod von Jean Tinguely und dem legendären Trauerzug fand an diesem Tag ein grosses Fest statt, der «Grand Prix Tinguely». Ich flog aus Berlin zu diesem Ereignis an, denn mit dem «Gand Prix» sollte an den fröhlichen Leichenzug von 1991 erinnert werden. Vor 25 Jahren erlebte ich Jean Tinguelys Beerdigung in Fribourg. Die Trauer über den am 30 August 1991 gestorbenen Künstler in der Stadt war gross. Der lange Tross Richtung Kathedrale, bestehend aus Tinguelys rollenden Skulpturen, die fauchend und Nebel speiend die Rue des Alpes hinunter rollten, begleitet von Trommlern  und seinen Werkstattgehilfen in ihren blauen Overalls … Diese Bilder und die Stimmung an diesem Tag sind mir unvergesslich.

Gespannt verfolgte ich mit vielen anderen, wie sich am théâtre Equilibre de Fribourg die Guggenmusik, mehrere Fastnachtswagen, die Tinguelys Skulptur «Le Safari de la Mort Moscovite» sowie über 50 Oldtimer-Rennwagen in Bewegung setzten. Es war ein ohrenbetäubender Krach und ein prächtiges Farbenspiel.

Zu Jean Tinguely habe ich eine tiefe Beziehung. Ich habe den Künstler leider nie persönlich kennen gelernt, konnte aber als Kind in Wettingen einige seiner Skulpturen in der Wohnung des bekannten Architekten Theo Hotz bestaunen, der unser Nachbar war. Heute hängt in meiner Berliner Wohnung ein von Tinguely signierter Kalender aus dem Jahr 1989.

Während «Le Safari de la Mort Moscovite» und andere elegante Installationen mit Rädern in rot, blau und grün die Rue des Alpes hinunter rollten, fragte ich mich, was es denn ist, was mich bis heute an Jean Tinguely fasziniert: Es ist wohl der spielerische Umgang  mit dem Thema Tod, seine Faszination an der Geschwindigkeit und die Leidenschaft für Maschinen, die als Dreiklang in seinen Installationen zusammen schmolzen. Das Rasseln und Scheppern, dass den Tod verlachen sollte. Schliesslich seine Fähigkeit, Künstlerfreunde und auch das Volk in seine Arbeit spielerisch einzubeziehen. Ich lernte am Samstag auch den  64-jährigen René Progin kennen, ein ehemaliger Seitenwagen-Rennfahrer und Freund Tinguelys, der bei der Organisation des Grand Prix massgeblich mitwirkte.

Jean Tinguely war bis zu seinem Tod ein Mann, der sich eine kindlicher Freude bewahren konnte. Die Zuckerwatten-Küche, der fahrende Sirupspender und das Jahrmarkt-Karussell mit Elternantrieb, all diese Dinge in der Altstadt hätte Tinguely sicherlich gefallen. In Freiburg wurde dem Mann, der bis  zuletzt ein schwieriges Verhältnis zur katholischen Kirche hatte, auf sehr würdevolle und fröhliche Art gedacht. Es war eine Ode an das Leben.

Grand Prix Jean Tinguely in Freiburg
8. September 2016 | 02:48
von Vera Rüttimann
Lesezeit: ca. 2 Min.
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