Bruder Klaus und Gefährten

Gehorsam zwischen Stadt und Land

«Darum sollt ihr schauen, dass ihr einander gehorsam seid». Der gegenseitige Gehorsam, zu dem Bruder Klaus mahnt, war und ist seit dem Stanser Verkommnis immer auch der Gehorsam zwischen den urbanen Zentren und den Ländern, die vom zivilisatorischen Fortschritt zu Rändern degradiert werden. Das fragile Gleichgewicht, das Bruder Klaus der alten Eidgenossenschaft vermittelt hat, blieb durch eine Serie von eigentümlichen geschichtlichen Umbrüchen bestehen. Die Städte verfügten zwar über die technisch-wirtschaftliche Macht. Aber sie waren seit der Reformation konfessionell gespalten. Die Länder waren strukturell weit schwächer; aber sie stellten den Hauptharst der Söldner und blieben dadurch für die Städte unverzichtbare Partner. So sichert das «Ständemehr» bis heute den Landorten einen vergleichsweise grossen Einfluss, und die Schweiz ist trotz der Macht ihrer Banken und Hightech-Unternehmen ein irgendwie bäuerliches Land geblieben. Nicht umsonst bietet es den Besuchern von Nah und Fern ein weit verzweigtes Netz von gut ausgebauten Wanderwegen.

Bäuerliche und urbane Lebenswelten

Dadurch bleibt eine Urwahrheit des Lebens präsent. Denn es ist offensichtlich, dass alles Lebendige sich nährt und entfaltet nur mit Hilfe dessen, was der Erdboden hergibt. Der Mensch ist von der Erde genommen, heisst es am Anfang der Bibel; er ist human, soweit er seien Herkunft aus dem Humus nicht verleugnet. Die Milch und der Wein, die er trinkt, das Brot und die Kartoffeln die er isst – alles ist von Bauern aus dem Erdboden gewonnen worden.

Ebenso offensichtlich aber ist, dass die Techniken, mit deren Hilfe der Ertrag gesteigert und weltweit unter den Menschen verteilt wird, vor allem in den Städten entwickelt werden. Traktoren und Erntemaschinen, Dünge- und Pflanzenschutzmittel verdanken sich nicht der Intuition der Bauern, sondern der Analytik und dem konstruktiven Vermögen, die in den Büros und Laboratorien in den Städten am Werk sind. So werden auf dem Land und in der Stadt je andere Erkenntnisse kultiviert und je andere Kompetenzen gefördert. Und es dient der Lebenskraft eines Gemeinwesens, wenn diese unterschiedlichen Lebenswelten nicht nur nebeneinander existieren, sondern angehalten sind, «einander gehorsam zu sein», in gegenseitigem Respekt voneinander zu lernen.

Bernhard Rothen

Bernhard Rothen ist evangelischer Pfarrer in Hundwil und Präsident der Stiftung Bruder Klaus, die sich vor allem der Auseinandersetzung mit dem Brief an Bern widmet. www.stiftungbruderklaus.ch

 

Hinweise

Die Stiftung Bruder Klaus hat im Rahmen des Gedenkjahres zahlreiche Aktivitäten realisiert, darunter auch drei kurze Videos in drei Sprachen zu grundlegenden Themen im Zusammenhang mit Niklaus von Flüe: www.stiftungbruderklaus.ch/videos.

Bernhard Rothen, Brief an die Berner Ratsherren: «Von Liebe wegen», in: Gröbli (2016), 197–202.

Ambrogio Lorenzetti (1285–1348), Allegorie der guten und der schlechten Herrschaft. Detail: Austausch zwischen Stadt und Land, Palazzo Pubblico in Siena. (Foto: Wikimedia Commons, Yorck Project).
20. November 2017 | 00:17
von Bruder Klaus und Gefährten
Lesezeit: ca. 2 Min.
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