Br. Paul Tobler

Frühaufsteher

Ich werde immer wieder mal von Leuten gefragt, wie es mir so läuft mit dem frühen Aufstehen im Kloster. Manchmal wissen die Fragesteller, dass ich mich vor meinem Klostereintritt nicht unbedingt durch diese Eigenschaft auszeichnete… Während dem Studium genoss ich es zum Beispiel, beim Hören des Weckers auch mal zu überlegen, ob ich tatsächlich aufstehen oder die anstehende Vorlesung eher alleine lesen solle.
Und nun stehe ich seit eineinhalb Jahren täglich um 5:10 Uhr auf, ausgenommen an Sonntagen. Wir beginnen um 5:30 mit der ersten Gebetszeit, der halbstündigen Vigil. Auf diese folgt unmittelbar die Laudes, gefolgt von Frühstück, Zeit für geistliche Lesung sowie Heiliger Messe und Terzgebet um 7:30. Um 8:20 beginnt der Arbeitstag. Im Verlauf des Tages folgen die Gebetszeiten Sext & Non, am Mittag, und abends geistliche Lesung, Vesper und Komplet.
Ich habe mich gut an den frühen Beginn gewöhnt. Wenn es einmal vorkommt, dass ich den Wecker überhöre, ist die laute Kirchenglocke, Luftlinie 30 Meter von meinem Bett entfernt, unüberhörbare Hilfe: ab 5:22 Uhr läutet sie die Gebetszeit ein – im Notfall knapp ausreichend. Und der Heilige Benedikt hatte für den Morgen ein gütiges Mass: Der erste, vorgesungene, Psalm der Vigil soll «sehr langsam und gedehnt» (RB 43,4) gesungen werden, denn bis zu dessen Ende darf man noch ganz normal in das Chorgestühl in der Kirche eintreten. Nachher gibt es gewisse Verspätungsregeln.
Vigil heisst «Nachtwache». Es ist für mich eine schöne, eindrückliche Gebetszeit. Natürlich ist oft eine gewisse körperliche Schwere noch da. Es geht darum, «sogar in der Nacht» zu beten, den Kontakt zu Gott zu suchen. Damit machen wir etwas verstärkt, was aber für jeden Christen gilt: «Wachsam» zu sein, sich immer wieder auf Gott auszurichten, daran zu denken dass alles von ihm kommt, dass unser irdisches Leben irgendwann zu Ende geht oder auch dass Christus irgendwann wiederkommt. «Jemand muss zuhause sein, Herr, wenn du kommst. Jemand muss dich erwarten, unten am Fluss vor der Stadt. Jemand muss nach dir Ausschau halten Tag und Nacht.» (Silja Walter)
Es ist für mich erfüllend, dies auch stellvertretend für viele andere Menschen zu tun. Gerade die Nacht scheint mir gut geeignet um für dunkle, leidvolle Situationen auf der Welt zu beten.

16. Juni 2013 | 14:33
von Br. Paul Tobler
Lesezeit: ca. 1 Min.
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