Bruder Klaus und Gefährten

Friedensinsel Schweiz – zu welchem Preis?

Längst ist die Faszination, die das morbide Totenkopfmeer des Votivbildes in der kindlichen «Piraten-Phase» auf mich ausübte, einem sehr starken Unbehagen gewichen, das mich bei jedem Besuch in der unteren Ranftkapelle befällt.

Dabei war die Absicht gewiss edel. Der Schweizerische Katholische Volksverein hatte Bruder Klaus zum Kriegsbeginn 1914 um seine Fürbitte angerufen. Nach dem unbeschadet überstandenen Krieg – genau 99 Jahre ist das her – entstand die Idee, ein Ex Voto zu stiften. Man gelangte schliesslich an Robert Durrer, den genialen Historiker und Autor des Quellenwerks des Heiligen (siehe Blog vom 10. Mai 2017). Dieser interpretierte in seinem Entwurf «in einer unerhört dynamischen Bewegtheit die einzigartige Bewahrung der Schweiz vor der Katastrophe des Krieges als ausserordentliche göttliche Gnade, erworben allein durch die Fürbitte des Bruder Klaus» (Marchal, 461) und überzeugte damit die Auftraggeber.

Was dem heutigen kritischen Betrachter nicht mehr entgeht, war bereits von Durrer sehr wohl intendiert: das Bild strotzt vor bissiger Ironie. Das «Heerwesen wird durch drei ganz minderwertige Landsturmsoldaten dargestellt», der kleine, dickliche General Wille mit dem Stumpen im Maul, gereicht der wehrhaften Schweiz auch nicht gerade zur Ehre, derweil in nicht zu überbietender (gewollter!) Harmlosigkeit die Kinder um den Baum Ringelreihen tanzen und der «Oberkellner die Kriegsinvaliden, Internierten, Schieber und anderes Gesindel mit offenen Armen in Empfang» nimmt (449). Kritische Zeitgenossen erkannten die Ironie schon damals, aber zu einer öffentlichen Debatte kam es nie. Im Gegenteil, allenthalben wurde das Gemälde gelobt: Die Aufgabe, die Mission der «Insel des Friedens» im Weltriege darzustellen, sei gut gelöst worden. «Alles atmet Ruhe, friedliche Genügsamkeit», urteilte gar die freisinnige NZZ (ebd.).

Nun ist es eines, aus persönlicher Heilserfahrung heraus ein Zeichen des Dankes an einem Wallfahrtsort anzubringen. Ein kollektives Ex Voto diesen Ausmasses aber behauptet Wahrheit. Eine Wahrheit, die sich scheinbar keine 25 Jahre später auf wundersame Weise wiederholen sollte. Aber uns kritisch denkenden Nachgeborenen erscheint sie zynisch.

Ja, die Schweiz hat das sinnlose Gemetzel des Ersten Weltkrieges schadlos überlebt. Und sie hat auch den Zweiten Weltkrieg überstanden, wenn auch mit grösserem Reputationsschaden, wie sich seither immer mehr gezeigt hat. Und ja, Bruder Klaus wurde bestimmt von unzähligen frommen, verängstigten Mitlandleuten während all dieser Jahre latenter Gefahr angerufen.

Ein Heiliger aber, den wir in enger Gemeinschaft mit Gott und in communio sanctorum wähnen, hat den Blick aufs Ganze. Seine Sorge gilt nicht bloss der Schweiz.

Gott und die Heiligen anzurufen ist eines. Sie aber kausal für einen «Erfolg» eines Nationalstaates in einer protektionistischen Causa gegen die Interessen anderer zu vereinnahmen, wird zur Sünde.

Das Votivbild von Robert Durrer ist uns, gerade dank der ironischen Details, zum Mahnmal und zur prophetischen Verpflichtung geworden: Der kriegsverschonten Schweiz ist eine edle, aber auch eine sehr ernste Verpflichtung zum Frieden auf Erden – Pacem in terris – erwachsen. Dafür indes lässt sich der Himmel gern einspannen.

Fr. Peter Spichtig op

 

Literatur: Guy P. Marchal: Schweizer Gebrauchsgeschichte. Geschichtsbilder, Mythenbildung und nationale Identität. Basel 2007, 445–462.

Votivbild im Ranft, gestiftet vom Katholischen Volksverein als Dank für die Verschonung der Schweiz im Ersten Weltkrieg. Konzept: Dr. Robert Durrer, Ausführung 1921: Albert Hinter (Foto: Konrad Busslinger, Rex-Verlag)
8. November 2017 | 07:10
von Bruder Klaus und Gefährten
Lesezeit: ca. 2 Min.
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