Philip Steiner

Fastenzeit

Zwar wurde in St. Meinrad (wie fast überall in den USA) keine Fasnacht gefeiert, doch die Fastenzeit wurde am Aschermittwoch wie gewohnt begonnen.
In der Eucharistiefeier empfingen die Mönche und die Besucher vom Abt das Aschenkreuz als sichtbares Zeichen der Busse und der Umkehr. Während sich die Mönche für diese Geste aufreihten, warf jeder einen gefalteten Zettel in einen bereitstehenden Korb. Auf diesen Zettel schrieben die Mönche ihre «bona opera», gute Werke, die sie in der Fastenzeit mit Gottes Hilfe zu erfüllen versuchen. Im Verlauf des Tages erhielt jeder seinen Zettel mit einer kurzen Bemerkung des Abtes zurück.
Dieser klösterliche Brauch hat seinen Ursprung beim heiligen Benedikt persönlich. Im 49. Kapitel seiner Regel – einem Kapitel speziell der Fastenzeit gewidmet – schreibt er:
«Der Mönch soll zwar immer ein Leben führen wie in der Fastenzeit. Dazu aber haben nur wenige die Kraft. Deshalb raten wir, dass wir wenigstens in diesen Tagen der Fastenzeit in aller Lauterkeit auf unser Leben achten und gemeinsam in diesen heiligen Tagen die früheren Nachlässigkeiten tilgen. […] Gehen wir also in diesen Tagen über die gewohnte Pflicht unseres Dienstes hinaus durch besonderes Gebet und durch Verzicht beim Essen und Trinken. So möge jeder über das ihm zugewiesene Mass hinaus aus eigenem Willen in der Freude des Heiligen Geistes Gott etwas darbringen. […] Was aber der Einzelne als Opfer bringen will, unterbreite er seinem Abt. Es geschehe mit seinem Gebet und seiner Einwilligung. […]»
In diesem 49. Kapitel zeigt sich der grosse Realismus des heiligen Benedikt. Er hat einerseits das Ideal vor Augen (»Der Mönch soll zwar immer ein Leben führen wie in der Fastenzeit») und andererseits ebenso die menschliche Schwäche (»Dazu aber haben nur wenige die Kraft») und er entschliesst sich zu einem Kompromiss: «…wenigstens in diesen Tagen der Fastenzeit…». Der heilige Benedikt begegnet dem Mönch dort, wo dieser steht. Er nimmt ihn an der Hand und führt ihn dorthin, wo Gott ihn haben möchte: bei sich!
Der klösterliche Fastenvorsatz hat – anders als bei vielen Menschen unserer Zeit – nicht das Ziel, überschüssige Kilos loszuwerden oder finanzielle Einsparungen zu machen. Die Fastenzeit hat einen geistlichen Zweck: «Mit geistlicher Sehnsucht und Freude erwarte er [der Mönch] das heilige Osterfest.»
In diesem Sinne wünsche ich allen eine gesegnete Fastenzeit!
fr. Philipp
 
Zum Bild: In den Vereinigten Staaten ist es Brauch, dass die Gläubigen das Aschenkreuz auf die Stirne gezeichnet bekommen und es den ganzen Aschermittwoch über dort belassen. Der in diesen Tagen wohl bekannteste «Aschenkreuz-Träger» ist der amerikanische Vizepräsident Joe Biden. Während eines öffentlichen Auftritts am Aschermittwoch deutete eine unwissende Kommentatorin das Aschenkreuz auf seiner Stirn als einen Bluterguss, was ihr in den Medien einigen Spott einbrachte.
 

16. Februar 2013 | 16:27
von Philip Steiner
Lesezeit: ca. 2 Min.
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