Heinz Angehrn

Ethisches zur Impfung

Wenn ich das recht verstehe, wird es bei allfälligen Entscheidungen zu einer sogenannten «Impf-Pflicht», also dem Modus, dass zwar niemand zum Impfen gezwungen, aber, wenn er/sie nicht geimpft ist, mit einer Busse belegt werden kann (einer Entscheidung, die etwa nächstens im Deutschen Bundestag in einer Abstimmung mit Aufhebung der Fraktionsdisziplin gefällt werden wird), um eine Abwägung ethischer Grundwerte gehen. (Analog entschied der Deutsche Bundestag etwa über Fragen um die Abtreibung, die Sterbehilfe und um die Anerkennung der gleichgeschlechtlichen Partnerschaften.)

Dies zeigt, in welch heiklem Grenzbereich wir uns hier bewegen. Und es ist sicher richtig, dass solche Entscheidungen nicht von der Exekutive allein gefällt werden dürfen (wie kürzlich in Österreich geschehen, wofür die Regierung nun dafür der Zorn der Strasse einholt), sondern dass die Legislative daran beteiligt wird und der Entscheid vor der Judikative bestehen kann. Doch ist uns mit solch politisch-rechtsstaatlichen Überlegungen alleine nicht geholfen. Wir brauchen die saubere ethische Argumentation.

Ich versuche das hier pro Impfpflicht im eingangs definierten Sinn. Um welche Werte geht es? Die Gegner sprechen von einem schwerwiegenden staatlichen Eingriff in die körperliche Integrität der Einzelperson. Ein Piks in den Oberarm ist also ein schwerwiegender Eingriff? Oder ist es die verabreichte Impfsubstanz? Ich bin schon etwas verwirrt, da ich sowohl an der Oberstufe wie im Militär erlebt habe, dass wir klassen- und kompagnieweise geimpft wurden, wenn die aktuellen gesellschaftlich-medizinischen Umstände es erforderten. Ja, was hat sich denn seit 1969 bzw. 1976 so wesentlich geändert, dass plötzlich dieser Wert, also der absolut verstandene Anspruch, dass der/die Bürger/in Herr/in des eigenen Körpers ist und dem Staat jeglichen medizinischen Zugriff verwehren kann, gilt?

Auf der Gegenseite steht nämlich nicht der Eingriff in die körperliche Integrität eines Einzelnen, sondern die Gefährdung der körperlichen Integrität von vielen. Was zählt also im Sinne der Dilemmatheorie höher, das Recht des/der Einzelnen zur Verweigerung trotz medizinisch-wissenschaftlich bestens belegten Grundlagen, oder das Recht des Staates, seine Bürger/innen vor Gefährdung von Leib und Leben zu schützen? Ich für meinen Teil sehe klar, wohin sich die etische Waage hier neigt.

(Erlauben Sie mir nun noch einen bösartig-ironischen Zusatz. Viel mehr als durch eine allfällige Impfpflicht fühlte und fühle ich mich schon in meiner psychischen Integrität verletzt, wenn dieser Staat mir befiehlt, dass ich einen Sicherheitsgurt zu tragen habe. Die einzige Person, die ich durch eine Weigerung gefährde, bin ich selber, und ich kann sehr wohl entscheiden, wo solches nötig ist und wo nicht. Das aber darf und tut dieser Staat.
Und wenn wir schon vom Militär sprachen: Den schlimmstmöglichen staatlichen Eingriff in meine körperliche Integrität erlebte ich, als dieser Staat mir befahl, wie kurz meine Haare zu scheren seien. Wohl verstanden: Ich hatte nicht in einem engen Panzer oder Ähnlichem zu sitzen, sondern Menschen Fieber zu messen, Verbände und Gipse anzulegen. Die Länge meiner Haare gefährdete diese sicher nicht.)

Ergo nochmals und jetzt ernsthaft: Das Wohl der Vielen ist im jetzigen staatlichen Umgang mit der Pandemie höher zu gewichten als eine egoistisch verstandene Freiheit eines/r Einzelnen.

Bildquellen

  • Impfung: pixabay.com
7. Dezember 2021 | 22:00
von Heinz Angehrn
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10 Gedanken zu „Ethisches zur Impfung

  • Michael Bamberger sagt:

    Ein dringlicher Appell von Dr. Sharla Tan, emeritierter Professor für angewandte Pneumatik der Universität von Sankoré in Timbuktu:

    ich, Dr. Sharla Tan, bin deshalb ein dezidierter Gegner von Winterreifen weil:

    – Winterreifen meine Wahlfreiheit erheblich beschneiden, es geht schliesslich um die Räder meines persönlichen Autos,

    – die Effektivität von Winterreifen völlig unbelegt ist, ausser durch gefälschte Studien finanziert durch die Reifenmagnaten,

    – ein Bekannter von mir trotz Winterreifen verunfallt ist,

    – die Reifengiganten den Winter erfunden haben um uns Angst zu machen und auf diese Ängste hin Milliarden zu scheffeln,

    – wenn ich Winterreifen habe, der Deep State unweigerlich meinen Spuren im Schnee folgen wird.

    Also informiert euch, macht endlich die Augen auf, seid keine Schafe!

    Sagt NEIN zu Winterreifen!!

    • Elisabeth Aeberli sagt:

      Man könnte die Liste beliebig verlängern: Impfungen zum Reiseantritt (Gelbfieber, Cholera). Da zögerte man nicht mit dem Impfen – hauptsächlich das Reisen wird möglich. Alt Bundesrat Kaspar Viller schrieb kürzlich in einem Kommentar in der NZZ: es sind wohl die Probleme einer verwöhnten Wohlstandsgesellschaft. Hoffen wir auf Impfwillige – und auf unsere neuen Freiheiten.

    • Werner Wägli sagt:

      Heinz Anghern hat mit seinem Artikel “Ethisches zur Impfung” 100 x recht. Auch das Argument mit den Sicherheitsgurten ist mehr als überzeugend. Wir brauchen mehr engagierte Menschen, die Realitätssinn haben, zu klaren Überzeugungen stehen und sich auch öffentlich bekennen.

  • stadler karl sagt:

    Es ist tatsächlich ein etwas sonderbares Freiheitsverständnis, wenn man manche Argumentionen hört. Es hat mit einem liberalen Freiheitsverständnis nicht viel zu tun. Aber der Piks kann ja kaum die Ursache von dieser Phobie oder ablehnenden Haltung sein. Ich kann diese Ängste nur schwer verstehen. Also wenn man der grossen Mehrheit der Virologen und Epidemiologen zuhört und gleichzeitig sieht, wie schnell die Intensivstationen auch hierzulande am Anschlag sind, deren Kapazitäten an Betten und an Fachpersonal ja grundsätzich nicht für Epidemien ausgelegt sind, dann sollte einem der Entscheid wirklich nicht schwer fallen. Und derzeit muss man auch als Geimpfter/te grosse Vorsicht walten lassen, auch wenn die Wahrscheinlichkeit vielleicht weniger gross ist, dass man einen Intensivplatz in Anspruch nehmen muss. Aber infektiös gegenüber andern kann man trotzdem sehr wohl sein, wenn vielleicht auch in kleinerem Ausmass.

  • Hansjörg sagt:

    Ist noch interessant zu sehen, dass es zum Thema Impfung mehr Wortmeldungen gibt, als jeweils zu Themen die bei der kath. Kirche falsch laufen! Bei der Impfung sind Frauen und Männer gleichberechtigt.

  • Heinz Angehrn sagt:

    Anhand der momentanen Diskussion in Deutschland sehen wir im Übrigen, wie ungünstig es ist und wäre, diese Grundsatzentscheidung von der Tagesaktualität entscheiden bzw. sich dazu zu drängen lassen. Das tönt dann nämlich so: Weil wir sehen, dass die Omikron-Variante eine Impfquote weit über 90 Prozent erfordert, müssen wir jetzt eben, obwohl anders versprochen, doch so handeln. Zu Recht weisen Kommentatoren darauf hin, dass gebrochene Versprechen von Politikern/innen immer Vertrauen zerstören, egal, ob es Gründe dazu gibt oder nicht.
    Darum wäre es besser gewesen, man hätte die Impfpflicht von vornherein – ethisch so begründet, wie ich es hier vornahm – als ultima ratio angekündigt. Bei den Masern, die nie diese Bedrohung gesamtgesellschaftlich darstellten, hatte man für Kinder so gehandelt, und der Aufschrei ist ausgeblieben. Dito damals bei der Kinderlähmung, wenn ich nicht irre, oder?

    • stadler karl sagt:

      Sie haben schon recht. Über den genauen derzeitigen Stand der Diskussion in Deutschland bin ich allerdings nicht im Bilde. Ich weiss nur, dass die neue Regierung eine Impfpflicht auf die politische Agenda setzte. Ob dabei eine generelle oder nur partikulare Impfpflicht angestrebt wird, z.B. für das Pflegefachpersonal etc., ist mir nicht bekannt. Aber mit den Versprechungen seitens der Politik während einer Pandemie ist es halt so eine Sache. Selbst die Virologen und Epidemiologen vermögen oftmals keine längerfristige verbindliche Empfehlungen abzugeben, weil sich die epidemiologische Situation oftmals überraschend und in rasendem Tempo verändern kann. Ich meine, uns allen sollte dies, sofern wir die Augen ein wenig offen halten, doch klar sein. Man höre nur, was die Wissenschafter derzeit über die Auswirkungen der Omikron-Variante sagen und teilweise auch jetzt noch keine total gesicherten Prognosen zu stellen wagen über deren Krankheitsverlauf. Ich stimme Ihnen zu, unter diesen Umständen ist ein allgemeiner Impfzwang als ultia ratio auch unter ethischen Gesichtspunkten nicht zwingend abwegig, vor allem dann, wenn wirklich eine reellle Chance besteht, dadurch die Pandemie eher eingrenzen und etwas Druck von den Intensivstationen nehmen zu können. Und vielleicht wäre unter epidemiologschen Gesichtspunkten ein Impfzwang nicht nur als ultima ratio, sondern ein möglichst früher Impfzwang angezeigt. Denn wie die Wissenschafter sagen: Je länger das Virus zirkuliert, umso mehr Mutationen und in der Folge umso mehr virologische Unwägbarkeiten.

      Aber ich glaube, dass wir tatsächlich teilweise die Ängste massiv unterschätzen, und zwar nicht Ängste vor dem Piks. Ich glaube nicht, dass die Weigerungen allesamt nur einer sturen Trotzreaktion entstammen. Da sind zum Teil ganz tief verwurzelte Verunsicherungen anzutreffen. Und falls über die Weihnachtszeit die 2-G-Regel im privaten Kreis gelten sollte, dann sind das für Ungeimpfte wirklich sehr harte, einschneidende Massnahmen, welche tragende soziale Bindngen ganz erheblich beeinträchtigen könnten. Der diesbezügliche Beitrag von Frau Monika Schmid, der derzeit auf kath.ch zu lesen ist, enthält da schon Zutreffendes.

  • stadler karl sagt:

    Herr Angehrn, heute am 17.Dezember, findet sich in der NZZ, S. 8 und 9, ein sehr interessantes Gespräch zwischen zwei Ökonomen (einem ehemaligen NZZ-Wirtschaftsredaktor und einem Gesundheitsökonomen). Sie debattieren die Pandemieproblematik aus liberaler Sicht unter verschiedenen Perspektiven, teilweise auch unter Einbezug ethischer Überlegugen. Es passt gut zu dem von Ihnen im Blog gewählten Thema. Und in der gleichen Ausgabe wird im Feuilleton auf einen publizistisch tätigen Philosophen, der sich ebenfalls bereits mehrmals zur Pandemie und zum Thema “Impfen” äusserte, eingegangen. Ein Beispiel, wie auch bei namhaften Intellektuellen immer auch Vorsicht am Platz ist. Auf jeden Fall, wer Horkheimers “Zur Kritik der instrumentellen Vernunft” auf diese Weise in den öffentlichen Diskurs einführen will, instrumentalisiert dieses Werk für einen bestimmten Zweck oder hat es schlicht nicht verstanden.

  • Heinz Angehrn sagt:

    Einverstanden mit Ihren Lese-Empfehlungen, Herr Stadler. Zu Rhonheimers Kritik an Kaiser: Mir persönlich genügt schon das “Solidaritätsargument”, wenn ich begründe, warum ich für eine Impfpflicht bin. Das Argument “Herdenimmunität” ist einfach noch ein Bonus obenauf. Zum Ganzen: Ja wir wissen doch schon lange, dass die radikalen ideologischen Theorien rechts und links aussen sich im Argument und in der Struktur sehr ähnlich sind, dass sich quasi der Kreis dort gerade wieder zu schliessen beginnt. Es ist eigentlich unwichtig, welches imaginäre System der Links- und der Rechtsradikale bekämpft, denn ihre Blindheit gegenüber den Anforderungen einer offenen und doch alle jedes Individuum schützenden Gesellschaft hat die selben Wurzeln. Man kann sehr gut Hegel links oder rechts lesen und gelangt auf beiden Wegen zu einem absoluten Ansatz, der die offene Gesellschaft erdrückt.
    Apropos: Genauso lesenswert das Interview mit Klara Obermüller in der Samstags-Ausgabe S.42-44. Ich, obwohl erst 66, habe mich in vielen ihrer Aussagen wieder erkannt.

  • Hansjörg sagt:

    Nun wundere ich mich nur noch, dass sich Kardinal Müller mit seinen Verschwörungsmythen noch nicht in die Diskussion eingeschaltet hat.

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