Heinz Angehrn

Die weisse Frau lebt weiter

«Lucia di Lammermoor» in Zürich

Im Jahr 2008 startete der italienische Regisseur Damiano Michieletto unter anderem mit dieser Inszenierung von Gaetano Donizettis Schauerstück (Uraufführung 1835 in Napoli) seine steile Karriere. Ermöglicht hatten es ihm Intendant Alexander Pereira und Dirigent Nello Santi, der sich nur noch für eine Premierenserie zur Verfügung stellen wollte, wenn anständig inszeniert wurde. Er hat ja das Bonmot von den Regie-Terroristen/innen geprägt, die heute die Lande, sprich die Opernbühnen, überziehen. Nun heute hat sich das Blatt in Zürich gewendet: Unter Andreas Homoki treten Terroristen jeglicher Couleur an; Santi dirigiert nur noch Reprisen. Und Michieletto ist weitergezogen und hat uns etwa in Salzburg wunderschöne, weil liebevolle, Inszenierungen von «La Bohème» und «Falstaff», geschenkt. Auch seine Zürcher «Lucia» ging auf Reisen, so wurde sie etwa 2015 in Barcelona mit Gheorghiou und Florez gezeigt.

In der aktuellen Saison hat sich Herr Homoki unser erbarmt und sie zurückgeholt. Es sei hier von der Volksvorstellung am 10.März berichtet. Die Umstände waren speziell: Nur schon der Auftritt des Dirigenten, der sich mit seinen weit über 100 Kilo aufs Podest hinauf helfen liess, war von Beifallsstürmen des Publikums begleitet. Und dann legte er los, mit seinen 87 Jahren natürlich alles im und aus dem Gedächtnis, immer noch sehr bedacht, die Fortissimi und Pianissimi genauestens zu differenzieren. Das erste Bild stand er, die folgenden sechs dirigierte er sitzend. Und wie immer konnte er es nicht lassen, mit lautem Schnauben und Rufen Musiker und Sänger zur Ordnung zu rufen. Wie traurig, wenn sie denn ausgestorben sind, die alten Macho-Tyrannen-Dirigenten, wie langweilig der Einheitsklang, der aus allen korrekt zusammengesetzten und korrekt spielenden Orchestern der Welt klingen wird.

Am 10.März sangen aus der Fortissimo-Fraktion der Russe Roman Burdenko als Lucias böser Bruder Enrico und der zum Ensemble gehörende Chinese Wenwei Zhang als Lucias Erzieher Raimondo (in dieser Inszenierung auch schnell vom normalen Priester zum Bischof mutierend). Burdenko überdröhnte die erste Szene und hielt sich erst in den Duetten und Ensembles zurück; Zhang hatte seine eigene Arie und präsentierte uns wieder einen Bass, der noch seine Wege gehen wird. Nichts mit ständigem Fortissimo am Hut hatte aber das Liebespaar, und das bekam dieser Aufführung sehr gut. Der spanische Tenor Ismael Jordi ist ein Vertreter einer aussterbenden Spezies, er sang seinen traurigen Edgardo in bester Nachfolge seines Lehrers Alfredo Kraus zurückhaltend, mit schmelzenden Hochtönen, die er erst in der Sterbeszene steigerte. Welch ein Kontrast zur Premierenbesetzung mit Vittorio Grigolo. Aber auch keine Frage, welcher der beiden auch noch in fünfzehn Jahren diese Partien singen kann und wird! In der Titelpartie und damit auch in der vom Publikum zwei Stunden lang herangesehnten Wahnsinnsarie sang die noch junge Russin Venera Gimadieva. Wenn etwas auszusetzen ist, dann ihre nicht sehr deutliche Artikulation, aber da ist sie ja mit noch Grösseren im selben Boot (man denke an Lady Fleming). Die Koloraturen liessen aber kaum zu wünschen übrig. Natürlich gibt es eine Generation, die noch Gruberova gehört hat und jede Nachfolgerin an ihr misst. Aber im Vergleich zu anderen möglichen Besetzungen (Mosuc, Gheorghiou) war Frau Gimadieva absolut rein, klar und strahlend – vielleicht müssen wir unsere Werteskala überdenken!

Schliesslich zu Michielettos Inszenierung, die auch 11 Jahre nach Beginn immer noch bestechend und vorbildhaft ist. Er lässt das erahnte schottische Hochmoor zwar dampfen und qualmen, sonst aber ist die Interpretation genial zeit- und ortlos. Die Handlung spielt zwar, soweit informieren uns die Gewehre, irgendwann zwischen erstem und zweitem Weltkrieg, doch lassen die Kostüme und vor allem der mythische Hintergrund fast alles offen. Und – das ist nun einfach wichtig und an alle Terroristen/innen gerichtet – all diese Bilder und Handlungen sind trotz der schauerlichen Racheschwüre und Gewalttaten appetitlich-schön und machen Lust auf mehr Oper und auch danach, in der Pause nicht zu gehen (warum wohl werden manche Opern ohne Pause durchgespielt, honi soit qui…). Der begehbare Turm auf der linken Seite und das weite Feld für die konkreten Handlungen rechts öffnen eine gewaltige Bühne in allen Dimensionen. Und das permanente Erscheinen einer stummen Figur (in vielen Inszenierungen nichts als ein lästiger Gag) passt hier genau zu Walter Scotts Vorlage und zum literarischen Genre des Schauerromans. «La dame blanche» (François-Adrien Boieldieu) bzw. die «Weisse Frau» der Hohenzollern-Burgen tritt von Anfang an als Mischung aus Rachegeist und Todesbote auf. Ihre farblich kontrastierenden roten Rosen lassen auf den gewaltsamen Tod der Figuren schliessen, die Blütenblätter bedecken aber auch versöhnlich Särge und Leichen. So was ist einfach schön. (Merken Sie Sich das, Frau Gürbaca!)

Ich glaube nicht, dass die Inszenierung in Zürich nochmals aufgenommen wird. Vielleicht war das darum auch der Abschied von Santi und Michieletto. Eine Ära endet, Besseres ist kaum in Sicht. Von zukünftigen Taten bzw. Untaten wird trotzdem an diesem Ort in unregelmässiger Folge berichtet werden.

Heinz Angehrn

Scotland
13. März 2019 | 06:00
von Heinz Angehrn
Lesezeit: ca. 3 Min.
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