Konzilsblogteam

Die Überwindung der traditionellen Ehezwecklehre

Ende September/Anfang Oktober 1965 wurde in der Konzilsaula über die Ehe diskutiert. In der Folge hat das Zweite Vatikanum die seit der Spätantike geltende Lehre, dass die Ehezwecke hierarchisch strukturiert sind, sowie eine biologistisch reduktive Sicht der Sexualität überwunden. Noch Pius XI. hatte in Casti connubii bekräftigt, dass die Zeugung und Erziehung von Kindern primärer Ehezweck sei, der den Geschlechtsverkehr erst sittlich legitimiere und den sekundären Zwecken der gegenseitigen Hilfe und des Heilmittels gegen die Begierde übergeordnet sei. Auch Pius XII. hatte diese Lehre wiederholt. Die Neuausrichtung der Ehelehre, die durch Theologen wie Herbert Doms oder Bernhard Häring vorbereitet worden war, war Gegenstand intensiver Debatten bis in die letzte Redaktionsphase von Gaudium et spes. Drei Sätze daraus sollen die Auseinandersetzung verdeutlichen:
«Durch ihre natürliche Eigenart sind die Institutionen der Ehe und die eheliche Liebe auf die Zeugung und Erziehung von Nachkommenschaft hingeordnet und finden darin gleichsam ihre Krönung» (48). In diesem Satz klingt die von einer Minderheit vertretene Auffassung nach, dass der eheliche Akt unabhängig von der Zeugungsabsicht nicht gerechtfertigt sei und deshalb auch die beständige Lehre der Kirche nicht verändert werden dürfe. Demgegenüber legte die Mehrheit Wert darauf zu ergänzen: «Die Ehe ist aber nicht nur zur Zeugung von Kindern eingesetzt, sondern die Eigenart des unauflöslichen personalen Bundes und das Wohl der Kinder fordern, dass auch die gegenseitige Liebe der Ehegatten ihren gebührenden Platz behalte, wachse und reife» (50). Dass nicht mehr ausschliesslich die Zeugungsoffenheit dem ehelichen Akt seine Würde verleiht, ermöglichte auch eine personale Deutung der Sexualität: «Die geschlechtliche Anlage des Menschen und seine menschliche Zeugungsfähigkeit überragen in wunderbarer Weise all das, was es Entsprechendes auf niedrigeren Stufen des Lebens gibt» (51).
Bis heute wird darüber diskutiert, ob die Wende von einer generativen zu einer personalen Sicht von Ehe und Sexualität nach dem Konzil konsequent genug entfaltet worden ist.
(Martin M. Lintner)

28. September 2015 | 00:01
von Konzilsblogteam
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