Grabstätte Abrahams
Bettina Flick

Die Grabstätte Abrahams in Hebron

Zurzeit weile ich als Menschenrechtsbeobachterin in Hebron in den besetzten palästinensischen Gebieten.

Endlich hat es geklappt! Schon mehrfach standen wir vor der Al Ibrahimi-Moschee hier in Hebron und wollten hineingehen, aber jedes Mal war gerade eine Gebetszeit und sie vertrösteten uns auf später. Wir hatten schon den jüdischen Teil der Grabstätte Abrahams, Isaaks und Jakob mit ihren Frauen Sarah, Rebekka und Lea besucht. (Rahel ist als einzige Patriarchenfrau nicht hier, ihre Grabstätte ist in Bethlehem, direkt an der Mauer auf israelischer Seite.)

Nun konnten wir auch den muslimischen Teil dieser riesigen Anlage besuchen. Freundlich wurde uns Frauen ein Kapuzenumhang gegeben und wir zogen die Schuhe am Eingang aus. (Auf jüdischer Seite müssen die männlichen Besucher eine Kipa, ein Käppchen, auf dem Kopf tragen.) Es sind mehrere grosse Räume dort und grosse Denkmäler – Steinsarkophage, für jeden Patriarchen und jede Patriarchenfrau. Die einzelnen Räume erzählen die lange Geschichte dieses Geländes. Der erste Bau, der nur aus einer grossen Mauer bestand, noch ohne Dach, entstand in hellenistischer Zeit. Im muslimischen Gebetsraum für die Frauen ist deutlich zu erkennen, dass es sich um eine Kreuzfahrerkirche handelte und im nächsten Raum steht eine wunderschöne Treppe aus Saladins Zeit. Immer wieder wechselte die Religion, die diese Gebetsstätte betreute, zwischen Judentum, Christentum und Islam hin und her. Manchmal war nur eine Religion erlaubt, manchmal hatte eine andere Religion Gastrecht und durfte ihre eigenen Gottesdienste feiern.

Diese Grabstätte erzählt auch die jüngste Geschichte, die Geschichte der Besatzung Israels. Nach der Besatzung der Westbank durch Israel im Sechstagekrieg 1967 war es den Jüdinnen und Juden nur erlaubt, bis zur siebten Stufe im Eingang hochzugehen und dort die Gebete zu verrichten. Am 25. Februar 1994 ging der israelische Arzt und Reservist Baruch Goldstein in Soldatenuniform in die Moschee und feuerte etliche Schüsse mit seine MG 16 ab, er tötete dabei 29 Muslime und verletzte sehr viele Menschen, bis er von überlebenden Palästinenser überwältigt werden konnte. Die Moschee wurde daraufhin vom israelischen Militär aus Sicherheitsgründen geschlossen. Seit sie wiedereröffnet wurde, ist sie zweigeteilt: Ein Teil wurde abgetrennt durch Metalltüren und dient nun als Synagoge mit einem eigenen Eingang. Der Sarkophag Abrahams liegt dazwischen, so, dass er sowohl von muslimischer als auch von jüdischer Seite her gesehen werden kann. Spannenderweise habe ich keine übereinstimmenden Angaben darüber gefunden, ob die Synagoge grösser oder kleiner ist als die Moschee: Ein muslimischer Führer erklärte uns, die Synagoge nähme 68 % des Gebäudes ein, die Moschee nur 32%. In einem jüdischen Infoblatt stand, die Räumlichkeiten der Moschee seien viermal so gross wie die der Synagoge. Die meisten Internetquellen geben gar keine Auskunft über die Grössenverhältnisse.

Kürzlich erinnerte ein muslimischer Feiertag an die Geburt Abrahams. Wir standen eine Stunde in der Nähe der Grabstätte und sahen Hunderte und Hunderte von Menschen in die Moschee hineingehen. Während 10 Tagen im Jahr haben die Muslime Zugang zur gesamten Anlage und während anderen zehn Tagen im Jahr können die jüdischen Gläubigen die ganze Gebetsstätte besuchen. Der Geburtstag Abrahams war einer diese Tage, an denen die Muslime auch im jüdischen Teil beten konnten. Ein Tor, das sonst immer verschlossen ist, stand offen, am checkpoint, an dem normalerweise jede Person, die eintritt, den Pass vorweisen muss, wurden die Menschen durchgewunken. Es war eine wunderschöne Atmosphäre, voll Hoffnung und Frieden. Ein wenig wie ein grosses Fest. Was ich vermisste, waren allerdings Essensstände. Wenn doch so viele Menschen hier zusammenkommen, dann wollen sie doch auch verpflegt sein. Bis mir bewusst wurde, dass die Moschee ja in einem Teil der Stadt liegt, in der Palästinenserinnen und Palästinenser sich nur zu Fuss bewegen dürfen. Alles, was sie mit in dieses Gebiet nehmen, müssen sie auf dem eigenen Rücken tragen. Da wäre es wohl viel zu umständlich, alles hierher zu tragen, um Essensstände aufzustellen. Israelis haben hier volle Bewegungsfreiheit, sie können auch mit Autos und Bussen in die Nähe der Synagoge fahren. Vielleicht erleben wir auch einen jüdischen Feiertag, an dem die gesamte Grabesstätte für die jüdische Bevölkerung geöffnet ist – ich bin gespannt, wie es dann aussieht!

Hier in Hebron hat es keine christliche Bevölkerung mehr. So stellt sich auch die Frage weniger, ob und wann Christen hier Gottesdienst feiern dürfen. Und zugleich ist Abraham ja auch der Stammvater für uns Christinnen und Christen.

Und da hat es diese spezielle Bibelstelle:

Gott erschien Abraham bei den Eichen von Mamre. Er erhob seine Augen und schaute auf, siehe, da standen drei Männer vor ihm. (Gen 18,1+2)

Ein spannender Wechsel in der Anzahl der Personen: Gott – in der Einzahl – und dann drei Männer, die vor ihm standen. Meist wird dieser Text als Anspielung auf die Dreifaltigkeit Gottes gedeutet. Hier, an diesem Ort, kommt mir eine andere Deutung in den Sinn:

Gehören wir, Juden Christen und Muslime, nicht alle zu Abrahams Nachkommen? Abraham sah Gott als drei Männer – vielleicht ist es ja der eine Gott in drei Weltreligionen?

Dass wenigstens zwei Weltreligionen sich das Abrahamsgrab teilen, empfinde ich als Hoffnungszeichen: Könnten wir doch alle unter demselben Dach zu unserem Gott beten und erfahren, dass Gott im Tiefsten Liebe ist, nicht Hass, nicht Trennung!

 

Ich wurde von HEKS-EPER und Peace Watch Switzerland als Ökumenische Begleiterin nach Palästina und Israel gesendet, wo ich am Ökumenischen Begleitprogramm (EAPPI) des Weltkirchenrates teilnehme. Die in diesem Artikel vertretene Meinung ist persönlich und deckt sich nicht zwingend mit denjenigen der Sendeorganisationen. Falls Sie Teile daraus verwenden oder den Text weitersenden möchten, kontaktieren Sie bitte zuerst Peace Watch Switzerland unter eappi@peacewatch.ch.

Bildquellen

  • Grabstätte Abrahams | © Bettina Flick: Bildrechte beim Autor
Grabstätte Abrahams | © Bettina Flick
15. Dezember 2017 | 15:05
von Bettina Flick
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