Markus Baumgartner

Die Geschichte des heiligen Blues

Der Schweizer Musiker und Blues-Spezialist Richard Koechli veröffentlicht mit «Holy Blues» ein Konzeptalbum, welches sich mit der 400-jährigen Geschichte von Gospel und Blues auseinandersetzt. Er erinnert damit an den Einfluss des christlichen Glaubens auf Blues, Soul und Rockmusik. Richard  Koechli hat seine Recherchen zu einem Buch zusammengefasst und interpretiert auf dem dazugehörigen Album zehn Holy Songs – einer davon überraschenderweise aus der Schweiz.

Gospel – auch «Holy Blues» genannt – gehört zur US-amerikanischen Kulturgeschichte. Der umtriebige Gitarrenkünstler Richard «Richi» Koechli begibt sich mit eigenen Interpretationen von Gospelsongs auf eine Zeitreise. Die zehn Songs tönen mal typisch bluesig, dann wieder sehr countrig und folkig. Mal flirrt die Gitarre wehmütig zu Hammondorgel-Klängen, andernorts summt sie sanftmütig zur Mundharmonika, schreibt das «Grenchner Tagblatt». Koechli liefert zusätzlich ein 150-seitiges Buch zum Thema. Es wirft einen leidenschaftlichen, präzisen und teilweise neuen Blick auf die 400-jährige Reise der Musik. 

Ohne Glaubensgeschichte keinen Blues 

Der im luzernischen Egolzwil wohnhafte Bluesmusiker Richi Koechli hat mit seinem neuen Werk «Holy Blues» (Trailer) die Verbindungslinien zwischen Blues, Soul und Rock und ihren Hintergründen im christlichen Glauben aufgearbeitet. Er legt in seinem neuen Buch dar, dass das Fundament der afrikanisch-amerikanischen Roots Musik wesentlich vom christlichen Glauben geprägt ist. Mit dem Satz «The blues is just gospel turned inside out» hatte unter anderen schon der Bluesmusiker T-Bone Walker auf die Verwandtschaft des Blues mit diesen geistigen Hintergründen aufmerksam gemacht. Richard Koechli erklärt dazu im «Willisauer Bote»: «Ohne die jahrhundertealte Glaubensgeschichte würde es keinen Blues geben, keinen Rock’n’Roll, keinen Soul oder keinen Jazz. Ohne Kirchen- und Gospelmusik würden wir weder B. B. King noch Elvis noch Ray Charles oder Johnny Cash kennen. Sich mit dieser Geschichte zu befassen, kann uns mehr Tiefe ermöglichen. Gerade Musik lebt von dieser Tiefe.»

Ohne die Rückbindung (Latein: religio) wüsste Richi Koechli nicht, was er als Musiker und als Person wäre, erklärte er im «Willisauer Bote» weiter: «Ich fürchte, ich wäre ein hilfloser, verzweifelter Mensch, unfähig, einen entspannten Ton zu spielen oder zu singen, gepeinigt von Ängsten, gezwungen, diese Ängste durch Hochstapelei zu kompensieren.» Das Gefühl, ein Wurm zu sein, kann unglaublich befreiend wirken. Sehr viele Musik auf der ganzen Welt habe einen spirituellen Charakter, sei von transzendenten Erfahrungen und Vorstellungen gespiesen. Richard Koechli kann aus seinem eigenen Leben berichten: «Wir haben eine reiche spirituelle Geschichte und Identität, und die gründet auf Jesus Christus.» 

«Schacher Seppli» als Holy Song

Als Überraschung auf der neuen Scheibe erscheint der «Schacher Seppli» in Bluesversion.  Richi Koechli hat diesen Song vor mehr als zehn Jahren für sich entdeckt und spielt ihn hin und wieder auf der Bühne. «Das ist alles, nur keine oberflächliche Volksmusik. Es ist ein tief spiritueller Song, der mit Demut und einem melancholischen Schalk das Leben eines einfachen Vagabunden beschreibt, der von Erlösung und etwas irdischem Glück träumt.» Koechli: «In letzter Zeit wurde das Stück von Ruedi Rymann zum Schlager-Partyknüller und ich versuche gewissermassen, das Ruder mit einer emotionalen Blues-Ver­sion nun wieder herumzureissen.»

Blues zeigt auch dreckige Seite

Schmutz gehört zum Leben. Der Blues lässt sich gemäss Richi Koechli einfach erklären: «Es ist die Auseinandersetzung mit dem Leben, den Schattenseiten, aber auf eine Weise, dass es Freude macht, dass es transzendiert. Bluesmusiker wissen, dass sie arme Sünder sind, doch sie schämen sich nicht, stehen auf, stehen dazu, setzen sich damit auseinander, kommunizieren, machen Mut, feiern das Leben.» Dass der Mythos, die Kraft des Blues vom Teufel käme sei Blödsinn. Robert Johnson werde da immer als Musterknabe eines vom Teufel getriebenen Blues-Stars verkauft. Seine Kraft kam aber eben genau nicht vom Teufel, sondern von der Auseinandersetzung mit dem Teufel – ein fundamentaler Unterschied! Auch Robert Johnson war tiefgläubig.

Zeitgeist entfernt sich vom christlichen Glauben

Richi Koechli bezeichnet als «Zeitgeist» etwas ironisch gewisse aktuelle Kräfte, die ständig behaupten, die Welt wäre ohne Glauben und Religionen besser: «Jede Kraft provoziert eine Gegenkraft, das kann ich verstehen. Doch ich glaube nicht, dass wir es ohne Verbindung zu unserer geistigen Herkunft schaffen, nur als Roboter sozusagen, mit einer atheistischen Ethik, die uns intellek­tuell einleuchtet.»

Man könne die Geheimnisse des Lebens nicht aus eigener Kraft entschlüsseln. Man könne dankbar und vertrauensvoll von all den Milliarden Menschen lernen, die vor uns gelebt, gelitten, gelacht und gebetet haben. Koechli: «Das waren keine abergläubischen ­Deppen, wie uns der Zeitgeist einreden möchte. Die haben unter anderem eben wunderbare und beseelte Musik gemacht, von der wir heute noch immer zehren. Darüber möchte ich erzählen.»

Bild Quelle unsplash.com
21. Dezember 2021 | 06:09
von Markus Baumgartner
Lesezeit: ca. 3 Min.
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