Musculus biceps brachii  © Rudin, Gian
Gian Rudin

Der Discopumper: Ausgeburt eines narzissmusschwangeren Gesundheitsfetischismus

Memento mori war im Barockzeitalter die Geisteshaltung, um die eigene Endlichkeit im Blick habend ein sittsames Leben zu führen. In seiner Daseinsanalytik bestimmt Martin Heidegger den Menschen als in die Welt geworfenes «Sein-zum-Tode». Fraglich ist, ob den deutschen Rapper Kollegah solcherlei Konzepte geleitet haben, als er, sein eigenes Dahinscheiden vorwegnehmend, folgende Zeile zu Papier bracht:

«[…] auch ohne Testo Propionat bin ich so breit, wenn ich mal sterb, brauch ich ein Rettungsboot als Sarg.»

«Breit-Sein» war zu früheren Zeiten im Deutschrap ein Codewort für cannabinolinduzierte Transzendenzerfahrungen. In neuerer Zeit hat sich ein Bedeutungswandel hin zu einer wortwörtlicheren Lesart vollzogen: Die sich in andauernder Expansion befindliche Präsenz manneskraftverbürgender Körpermasse. Beflügelt wurde diese neuerliche Transformation des deutschspracheigen Hip-Hop durch die im us-amerikanischen Raum beheimateten Ghetto-Rap-Attitüden, welche ein solides und meterosexualitätsresistentes Männlichkeitsideal propagieren. Die Ausformungen sind facettenreich: Kanak-Hip-Hop, Beef-Battles, Asphalt-Tunes. Als Unterunterform darf der Steroid-Rap nicht unerwähnt bleiben. Hierbei im Fokus stehen die im Fitnesstempel vollzogenen Leibesgebärden. Jedoch gibt es auch hier filigrane Binnendifferenzierungen. Verpönt ist das Trainieren der Beinmuskulatur, da dies Ressourcenverschwendung in Reinkultur wäre, wohingegen insbesondere dem musculus biceps brachii und dem musculus pectoralis major volle Aufmerksamkeit zuteil werden. Der Discopumper benötigt seine Muskulatur auch nicht für schweisstreibende Feldarbeit, sondern für die protzig-minimalistischen Dancemoves in der Discotehk. Ihn trifft somit das Verdikt der Scheinheilligkeit. Postmodernes Pharisäertum. Der Begriff des «bluffens» stammt aus der Kartenspiel-Fachsprache und meint die Täuschung des Gegners durch verbale Äuserungen oder eine risikoreichere Spielweise. Der Bluff des Discopumpers zielt zumeist auf das andere Geschlecht. Er versucht sich durch seine bizepsbedingte Unwiderstehlichkeit zum homme fatal emporzustilisieren. Das perifde daran ist jedoch, dass die Wohlgeformtheit seines Körpers nicht durchgängig ist. Der Discopumper ist Fragment. Eine Abbreviation des antiken Athletenideals. Dementsprechend kann auf den Discopumper auch diejenige Polemik angewendet werden, welche beim Aufkommen des Bodybuildings von Gewichthebern gegenüber Bodybildern zu vernehmen war:  Sie wurden als ölbeschmierte Boobybuilder (Brustpumper) gebrandmarkt. Auch die marxsche Kapitalismuskritik (Logischerweise habe ich «das Kapital» nicht gelesen, obwohl ich schon behauptet habe, dies auszugsweise getan zu haben. In jedem von uns steckt wohl ein kleiner Discopumper) könnte hier dienlich sein. Die Logik des gefrässigen Kapitalisten zielt auch Gelderwerb zwecks Vergrösserung des Kapitalvolumens und ist von einem konkreten Nutzen abgekoppelt. Der Disccopumper akkumuliert Masse, ohne seine Muskelkraft lebensweltlich fruchtbar zu machen. Die stählerne Brust wird zum Fetisch. Der Discopumper ist «breiter als der Türsteher» (gleichnamiger Song von Majoe feat. Kollegah & Farid Bang). Der «Steroid-Rap» von Kollegah und Farid Bang ist hierbei paradigmatisch, in ihm wird kaleidoskopartig die Essenz des Discopumper-Daseins versprüht. «Langhantelkreuzheben» ist effektiv, denn «die Bullen wollten mich an die Wand stell’n und befragen, doch die Handschellen zerbarsten an mein’ anschwellenden Adern.» Feindbild des Mukkibudenhelden ist der milchbubiartige Student, «dessen Unterarme den Umfang haben von Bambusstöcken.» Auch hier begegnet uns wieder der Topos des «Breit-Seins». Denn so ein Discopumper ist immer auch ein wenig abnorm und crazy. So kann er über sich resümieren: «doch ich bin für die Klapse zu breit, einmal Anspannen reicht und die Zwangsjacke reisst.» Jedoch ist der Discopumper auch von Alltagsproblemen geplagt, denn er muss eingestehen: «um mich am Rücken zu kratzen ist mein Bizeps zu gross.» Die Schattenseite dieses vergnüglich anmutenden Rapsongs ist nicht zu verkennen. Denn, wenn «nur die Masse zählt» scheint auch jedes Mittel recht, diese zu optimieren. In der für den deutschen Gangster-Rap üblichen Dichotomie zwischen «Strasse» und «Opfer» bildet die folgende Zeile wohl den pädagogisch bedenkenswertesten Höhepunkt: «deine Jungs trinken die Reste aus Bierdosen, meine Jungs spritzen sich Testo aus Stierhoden». Der Discopumper ist ein Zerrbild des gesundheitsbewussten Menschen. Er tummelt sich irgendwo im Feld des neuzeitlichen Körperkults, neben chiasamenverschlingenden Smoothie-Gourmands, die ihre Kreationen mit Granatäpfelkernen und Passionsfruchtgeschlabber krönen, Low-Carb-Hysterikern, für die der Verzehr eines Stück Brotes ein Sakrileg darstellt, Hippsterderivate, welche neben dem Sonnenlicht nur die Yogamatte zum Überleben benötigen und Veganismus-Ideologen, für welche der Genuss des Chäsfondues an den Bereich des Kannibalischen grenzt. Schöpfungstheologisch ist es wohl zu begrüssen, den Leib zu kultivieren, dennoch sollte er nicht verabsolutiert werden. Zwei Probleme ergeben sich aus dem oben Umrissenen:

Der Gesundheitswahn der Gegenwart ist der verkrampfte Versuch das Ewige zu verdisseitigen

Neben einem blendenden Zahnpastalächeln und wundervoll geschwungenen Augenbrauen besteht der Mensch auch aus Furunkeln und Schnuuudernase. Der im Fitnessstudio hochgepimpte Übermensch kann sich auch mal als Mimöschen gebärden, wenn er sich mittels brazilian waxing die Brusbehharung eliminieren lässt. Verletzlichkeit ist menschlich. Schweissgestank ebenfalls. Die Makellosigkeit des auf dem OLED flatscreen dahergleitenden Idealtypus ist die Fata Morgana des nach Unsterblichkeit dürstenden Menschenwürmchens. In der von Kollegah proklamierten Bossaura ist für den Tetraplegiker kein Platz vorgesehen. Gesundheit und Wohlergehen sind wertvolle Güter. Sie sollen erstrebt werden. Wenns sie aber vergötticht werden, droht der Absturz in unmenschliche Barbarei. Wenn das Fitnessmodel Anja Zeidler zur normgebenden Instanz in Bezug auf den weiblichen Körper wird, wieviel schlaflos-durchweinte Nächte wird dann wohl das Teenager-Mädchen fristen, welches nicht mehr in den schönen Jupe passt, den sie noch beim letzjährigen Schulabschlussball getragen hat, weil Pistanzeineiscrème eben doch besser schmeckt als die von Rohkostpropheten angepriesene ungedämpfte Brokkoli?

Der Fitnessboom aktualisiert den unheilsamen Leib-Seele-Dualismus

Ein Yoga-Asana will die Unruhe des Geistes besänftigen, wenn man nach den Yoga-Sutras des Patanjali geht. Das indische Bewusstsein weiss um das untrennbare Ineinander von Körper und Geist. Die Frage ist, ob dies all den Hatha-Yoga Praktizierenden in der westlichen Hemisphäre bewusst ist, wenn sie sich einfach ein wenig ausgepowert fühlen wollen. Allenfalls geht es darum ein Burnout zu verhindern oder den Körper insofern zu perfektionieren, dass er noch leistungsfähiger wird. Der Körper wird zum Marketingprodukt. «Der Körper ist der Übersetzer der Seele ins Sichtbare.» (Christian Morgenstern). Ein der wohl wichtigsten Erkenntnisse der neuzeitlichen Philosophie besteht in der Einsicht. Wir haben nicht einfach äusserlich ein Körperding, sondern wir sind Leib. Kurzum gesagt benutzt der Discopumper seinen handballgrossen Bizeps, um auf der Tanzfläche sexuelle Bestätigung zu erhalten. Er veräusserlicht sich. Sein Arm ist nicht mehr der eines charakterstarken Mannes, sondern prothesenartiges Hochglanzaccessoire. Ich will hier nicht intellektueller Sesselfurzerei das Wort reden, die sich mit dem bekannten Ausspruch «No Sports» von Winston Churchill der körperlichen Aktivität entgegenstemmt, sondern zur Mässigung aufrufen. Einen Apfel essen. Ein bisschen Badminton. Vielleicht Minigolf oder Stand Up Paddling. Faulenzen und Marshmellows.

Musculus biceps brachii © Rudin, Gian
11. September 2016 | 08:14
von Gian Rudin
Lesezeit: ca. 4 Min.
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