Frauenkirche Dresden
© Vera Rüttimann 2017
Vera Rüttimann

Das andere Dresden

Mit keiner anderen Stadt in Ostdeutschland verbinden mich so viele Erinnerungen wie mit Dresden.

Als die Zeitschrift «Aufbruch» eine Leserreise nach Dresden ausschrieb, war für mich klar, dass ich der Gruppe aus der Schweiz von Berlin aus einen Besuch abstatten wollte. Ich wollte selbst wieder einmal nachsehen, was in dieser Stadt eigentlich los ist. Pegida, das treibt auch mich seit geraumer Zeit um.

Als ich am Berliner Hauptbahnhof den EC Richtung «Dresden-Praha» bestieg, kamen in mir viele Erinnerungen hoch: 1990 sah ich hier erstmals die verkohlten zwei Stümpfe, die die Bombennacht vom 13. Februar 1945 von der Frauenkirche übrig liess. Die Stadt war gezeichnet von den Jahren, in der die DDR vor dem Kollaps stand und es waren noch viele unverputzte Einschusslöcher vom Zweiten Weltkrieg in den Wänden zu sehen. 1992 waren die Ruinenreste des heute wieder aufgebauten Residenzschlosses ein wildromantischer Abenteuerspielplatz, wo ich u.a.mit Freunden «Paradise City», ein Lied  der US- amerikanischen Rockband Guns N’ Rosen, sang. Dresden, vor allem der Stadtteil Neustadt mit seinen maroden Altbauten, war wie Berlin in den 90ern cool, wild und unentdeckt. Solche Ecken gibt es hier noch immer. Irgendwie passt es, dass es kein ICE ist, mit dem man in die sächsische Hauptstadt flitzt, sondern noch immer ein EC, der durch wild wuchernde Wälder schleicht, in dem sich Moorhühner, Hirsche und Hasen gute Nacht sagen. Eine Art Übung im Entschleunigen.

1992-1995 sass ich als junge Journalistin immer wieder mal mehrere Wochen im Dresdner Landgericht und verfolgte den «Wahlfälscher-Prozess» um den einstigen DDR-Premier Hans Modrow, dem hier der Prozess gemacht wurde. Aus diesem Stoff entstand später mein erstes Buch «Der Modrow-Prozess».  Ganz nebenbei wurde hier auch ein Stück deutsch-deutscher Geschichte verhandelt. Modrow, den ich seit 1990 kenne, war in Dresden 1. Bezirkssekretär der SED und galt noch 1989 als eine Art Gorbatschow der DDR.

In den Jahren zuvor, bevor Pegida das Bild Dresdens in der Weltöffentlichkeit trübte, wuchs für mich hier ein hinreissender Mix heran: Südländisches Leben inmitten der Barock-Pracht, Tortenparadies, Klassikhochburg, Start-Up-Szene und linke Club-Kultur in der . Das alles im wunderschönen Elbtal gelegen, das landschaftlich sehr an die Schweiz erinnert.

Auch alle Etappen des Wiederaufbaus der Dresdner Frauenkirche konnte ich mitverfolgen. Als ich sie jetzt am Montag wieder sah, wurde es mir wieder warm ums Herz. Dass aus diesem verkohlten Steinhaufen wieder eine Kirche entstehen konnte – ein Wunder. Dies konnte ich mir dann zusammen mit den Lesern der Zeitschrift «Aufbruch» in einer Dokumentation ansehen, die im Untergewölbe der Frauenkirche gezeigt wurde. Es rührt mich noch heute, wenn ich Bilder sehe wie das vom verbogenen Turmkreuz, das in der Ruinen gefunden wurde oder von den neuen Glocken, die auf Lastern an die fast fertige Frauenkirche gefahren wurden. Und die Schweizer Gäste erfuhren: Es ist die hier nach der Wende herangewachsene Bürgergesellschaft Dresdens, die den Wiederaufbau dieser Kirche zusammen mit Freunden aus aller Welt (Coventry!) möglich gemacht hatte!

Danach kam es zu einem Treffen mit Frank Richter. Der 56-Jährige ist ein deutscher Theologe und seit dem 1. Februar 2017 in der Geschäftsführung der Stiftung Frauenkirche in Dresden. Viel mehr noch: In der Friedlichen Revolution in der DDR 1989 wurde Richter als Gründer der «Gruppe der 20» in Dresden bekannt. Sein Namen ist in der Prager Strasse in der Dresdner City im Boden eingraviert. Ein Mann mit einer starker Stimme und einer klaren Haltung, dem «Pegida» jedoch schwer auf seinen schmächtigen Schultern zu lasten scheint. In einem spannenden Exkurs versuchte er zu erklären, wie es dazu kam, dass sich seit einigen Jahren Tausende mit Deutschland-Fahnen zu Füssen der Frauenkirche versammeln und rechtsnationale Parolen skandieren. »Darunter sind kluge Freunde, Intellektuelle, von denen ich nie gedacht habe, dass sie dem Gedankengut von Pegida nahe stehen», sagte er. Ich spürte: Das tut ihm bis heute in der Seele weh. Und da sucht einer nach Antworten: Frank Richter sprach von Menschen, die sich durch den schnellen Anschluss der DDR an die BRD, die lange auf sich wartenden «blühenden Landschaften» und der Ankunft der Flüchtlinge im eigenen Land fremd und nie angekommen fühlen. Er sprach von Leuten, die aus strukturschwachen Dörfern kommen, die unter dem Wegzug ihrer besten Leute leiden und sich abgehängt fühlen. Und Richter beschrieb eindrucksvoll einen Landstrich, in dem Generationen ohne jeglichen Bezug zur Kirche aufwachsen. «Religiös völlig unmusikalisch», meinte er dazu lakonisch. Nur wenige Gegenden in Europa seien so entchristlicht wie Ostdeutschland. Auch ein Grund, so Richter, weshalb sich Gedankengut wie das von Pegida sich bei vielen so erfolgreich einnisten könne.

Und nun hat die Kirche auch noch mit Pegida zu kämpfen. Die Frage, wie sie mit diesem Thema umgeht, spaltet längst ganze Gemeinden, wusste Frank Richter zu berichten. Denen die Hand reichen? Er selbst wurde deutschlandweit bekannt, als er Pegida einen Raum für eine Pressekonferenz zur Verfügung stellte. Gefragt wurde auch: Worin liegen die Chancen der Kirche in diesem Konflikt? Frank Richter hofft, dass die Kirche jetzt mit ihrer Erfahrung (auch und vor allem aus dem Herbst 1989 heraus) als Moderatorin auf den Plan treten könnte. In dieser von einem Image-Schaden gebeutelten Stadt braucht es jetzt Orte, wo die Enttäuschten, die Wütenden und Kämpfer für eine Zivilgesellschaft wie Frank Richter in einen Dialog treten können. Auch die Frauenkirche darf nicht zu einem blossen Touristentempel verkümmern.

Als ich an der Frauenkirche noch einmal Halt machte, entdeckte ich ein grosses Plakat, an dem geschrieben stand: «Bürger! Lasst nicht zu, dass das geistige und intellektuelle Klima in unserem Land weiterhin durch rechtsnationale Ideologien vergiftet wird. Hochschule für Bildende Künste Dresden.» Stark.

Da war es noch mal, das andere Dresden.

Buch-Tipp: Peter Richter: Dresden Revisited. Luchterhand, 160 Seiten, 18 Euro (2016)

 

 

Bildquellen

  • Dresdner Frauenkirche: Bildrechte beim Autor
Frauenkirche Dresden © Vera Rüttimann 2017
7. April 2017 | 03:10
von Vera Rüttimann
Lesezeit: ca. 4 Min.
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