Karin Reinmüller

Authentisch leben mit Jesaja

Aus Kap. 42 des Buchs Jesaja ist die Lesung dieses Sonntags – ein Text über den Erwählten Gottes, der Blinde heilt, Gefangene befreit, Licht in verdunkeltes Leben bringt. Und der im Lukasevangelium von Jesus zitiert und auf sich selbst bezogen wird.

Die Frage, ob Jesus das tatsächlich gesagt hat, ignoriere ich heute mal – zumindest war Lukas hinreichend beeindruckt von Jesus, um ihm diese Worte in den Mund zu legen. Was aus heutiger Sicht ziemlich ungeheuerlich erscheint – denn nach wie vor sind Menschen blind, im Gefängnis, oder zu einem Leben voller Dunkelheit verurteilt. Es gibt die Gegenbeispiele, Menschen, die erlebt haben, wie ihr Leben grundlegend zum Guten verändert wurde, gar nicht selten im Zusammenhang mit einer Glaubenserfahrung. Aber was machen wir, die diese Erfahrung nicht haben?

Ein häufiges Phänomen ist das kleiner-denken: Jesus holt mich nicht aus der Dunkelheit, aber er schickt mir ab und zu mal ein kleines Licht. Das ich vielleicht nur mühsam als solches erkenne. Oder er lässt mich die Dunkelheit ein bisschen besser ertragen. Wenn ich genau hinschaue und mich bemühe, eine kleine Spur seiner Gegenwart zu erkennen. Wenn ich ehrlich wäre, müsste ich mir eingestehen, dass es immer noch genauso dunkel ist und genaus schwer – aber ich will so unbedingt, dass die Befreiung wahr ist, dass ich sie mir einrede.

Das Problem dabei: So wird Gott handzahm. Irrelevant für mein Leben, von dem ich so tue, als sei es ganz in Ordnung, obwohl es das immer noch nicht ist.

Also zurück zu Jesaja. Der wartet, bis einer kommt, der Freiheit bringt. Der nicht so tut, als sei schon alles erledigt. Was immer Lukas dazu bewogen hat, Jesus zu zitieren mit der Aussage, Jesajas Worte hätten sich «heute» erfüllt – er hat ziemlich sicher nicht die plötzliche Abschaffung von Gefängnissen erlebt, noch das Ende der Dunkelheit. Vielleicht geht es darum, Gott gegenüber authentisch zu sein. Ihn daran zu erinnern, dass er da mal was versprochen hat. Und dass das noch aussteht.

Bildquellen

  • aus der Haft holen, die im Dunkel sitzen…: Bild: Michael Jasmund bei Unsplash
Bild: Michael Jasmund bei Unsplash
11. Januar 2020 | 17:33
von Karin Reinmüller
Lesezeit: ca. 1 Min.
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