Anna Di Paolo

Ausgerechnet Herzogenbuchsee – Wovon träumt einer der auswandert? – Teil 1

1897 wanderte mein Urgrossvater in die Schweiz ein. Soweit ich weiss, kam er direkt nach Herzogenbuchsee im Kanton Bern. Damals boomte der Eisenbahnstreckenbau und viele Arbeiter wurden gebraucht.

Eine Zeit lang war der Bahnhof Herzogenbuchsee als Knotenpunkt vorgesehen, der heute der Olterner Bahnhof ist. Daraus wurde zwar später nichts, ist aber für die Geschichte die ich hier erzählen will wichtig. Denn das Land entlang des Haupttrasses Zürich-Bern verlor dadurch an Wert.

Mein Urgrossvater sah seine Chance und erwarb zunächst ein Grundstück unmittelbar an der Bahnlinie. In seiner Freizeit erbaute er für sich und seine Familie ein stattliches Wohnhaus im norditalienischen Stil. Als dieses fertig war, holte er seine Frau und die bis dahin geborenen Kinder aus seinem Heimatdörfchen in der Nähe der italienisch-schweizerischen Grenze nach Herzogenbuchsee.

Es kamen weitere Kinder, die in der Schweiz geboren wurden hinzu. Zum Beispiel als Jüngster mein Grossvater mit Jahrgang 1906.

Sein Vater kaufte das Nachbargrundstück und baute erneut. Diesmal wurde das Haus ein wenig grösser. Das erste wurde Verkauft als das zweite bezogen wurde. Mit diesem Kapital machte sich dieser italienische Maurer selbstständig. Sein Baugeschäft florierte und beschäftigte viele lokale Arbeiter und Saisoniers aus Norditalien. Mein Grossvater wurde zum Architekten und Baumeister ausgebildet. Als jüngster Sohn sollte er dereinst das Geschäft übernehmen.

Als heranwachsende Jugendliche machte ich mir zum ersten Mal Gedanken über diese Auswanderungsgeschichte. Und natürlich verzweifelte ich als Teenie schier darüber, dass mein Urgrossvater ausgerechnet in den Oberaargau, nach Herzogenbuchsee auswandern konnte! Warum ging er nicht wie alle anderen nach Amerika? Oder noch besser nach Australien? Für einen jungen Menschen der nicht richtig ins Dorfbild passte war das eine existentielle Frage. Ich fragte mich ernsthaft wie es dazu kommen konnte.

Ich meine, wie hätte ich mir das damals vorstellen müssen? Sass er damals, vor 1897 auf der Gartenbank vor seinem Haus im norditalienischen Dorf und träumte von einem Leben in Herzogenbuchsee? Für mich damals unvorstellbar und unerklärlich.

So wie ich das heute sehe, war es wohl der familientypische Pragmatismus der meinen Bisnonno hier her brachte:

In der «Bar Centrale» auf der Piazza deines Dorfes hörst du bei einem Glas Weisswein am Sonntag nach der Messe, dass sie da oben in der Schweiz «al di là del Gottardo» Arbeiter suchen. Du denkst darüber nach und vielleicht schliesst du dich mit anderen zusammen und sagst dir: «ci provo». Irgendwann kommst du dann an. Vielleicht wirklich direkt nach Herzogenbuchsee, denn du reist ja mit dem Zug an und der Ort war damals noch eine wichtige Schnittstelle im Schienennetz der Schweiz.

Du heuerst an und arbeitest, hast Kollegen und wie wir dem heute sagen würden eine «Community». Aber die Familie fehlt dir, sie sollten bei dir sein. Also bleibst du und arbeitest im Akkord. Deine Arbeit ist gefragt, sie ist präzise und du arbeitest schnell. Und dann siehst du deine Chance und kaufst vom Ersparten das Grundstück direkt an der Bahnlinie.

So könnte es gewesen sein. Es hätte wenig mit den romantischen Träumereien zu tun, die sich ein Teenager vorstellt zu dem Thema.

Oder war da doch ein Traum, am Anfang jener Geschichte?

Und bezog sich dieser Traum nicht auf einen Ort in der Welt sondern auf einen Platz in dieser?

(Fortsetzung folgt.)

Bildquellen

  • Handwerkszeug eines Auswanderers, um 1897 | Anna Di Paolo 2017: Bildrechte beim Autor
Die Wasserwaage, des Maurers wichtigstes Ding. Handwerkszeug eines Auswanderers, um 1897 | Anna Di Paolo 2017
19. Januar 2017 | 15:50
von Anna Di Paolo
Lesezeit: ca. 2 Min.
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