Markus Baumgartner

Aus der Verfolgung wurde ein Exportschlager

Ein neuer Roman beleuchtet die 500-jährige Geschichte der Täuferbewegung. Laut dem Autor Markus A. Jost von der Universität Fribourg wird die international erfolgreiche Täuferbewegung in ihrer Heimat bis heute kritisch beäugt. Dabei verkörpert sie eidgenössische Werte wie Gleichheit, Unabhängigkeit und Skepsis vor Eliten. Vor 495 Jahren wurde der mutige Täufer Felix Manz von der Stadtzürcher Obrigkeit mit fünf seiner Glaubensgenossen in der Limmat ertränkt. 

Um das Jahr 1000 kam das grosse Schisma – die Trennung zwischen Ost- und Westkirche,  der orthodoxen und römisch-katholischen Kirche. 500 Jahre später kam es zur Reformation und parallel dazu auch die Entstehung der Freikirchen – zuerst mit den Täufern, später mit vielen weiteren Gruppen. Eine Studie im Rahmen des Nationalen Forschungsprogramms von Soziologie-Professor Jörg Stolz von der Universität Lausanne zeigt, dass heute 690›000 Personen oder jeder elfte Person in der Schweiz am Wochenende in die Kirche geht. Davon gehen 260’000 (38%) in katholische Kirchen, 200’000 (29%) in evangelische Freikirchen und 100’000 (14%) in reformierte Gotteshäuser. Die Kirche ist im christlichen Abendland Schweiz zu einer Minderheitsveranstaltung geworden. Umso mehr ist Einheit wichtig.

Stärken von Landes- und Freikirchen

«Die religiöse Ernsthaftigkeit mancher Täufer, die bis zur Bereitschaft zum Martyrium ging, ist eindrücklich und verdient Respekt und Würdigung», schreibt Professor Peter Opitz über die Gründungszeit der Freikirchen. Der Kirchenhistoriker an der Universität Zürich schrieb diese Notiz in der Biografie über den Reformator Ulrich Zwingli. 2004 resümierte Pfr. Peter Dettwiler als Beauftragter für Ökumene, Mission und Entwicklungsfragen der Evangelisch-reformierten Landeskirche des Kantons Zürich im Rahmen der Täuferversöhnung: «Aus der Reformation sind die reformierte Kirche und die Täuferbewegung als Zwillinge hervorgegangen, von denen die erstgeborene die zweitgeborene Zwillingsschwester verstossen hat. Es ist an der Zeit, diese ungeliebte Zwillingsschwester als eine Schwesterkirche zu anerkennen.» Zum Jubiläum 2017 sagte die offizielle Reformationsbotschafterin Pfrn. Catherine McMillan in «reformiert»: «Wir fühlen uns Freikirchen intellektuell überlegen. Doch wir beziehen uns alle auf die Heilige Schrift und ziehen zuweilen unterschiedliche Schlüsse. Das ist das Risiko der Reformation. Differenzen, über die wir auch streiten sollen, dürfen uns nicht vom Gemeinsamen abhalten. 

Roman zur 500-jährigen Geschichte der Täuferbewegung

Nun ist ein neues Buch erschienen: «Die Suchenden. Roman zur 500-jährigen Geschichte der Täuferbewegung». (Edition Königstuhl. 300 S., CHF 25) Geschrieben hat es Markus A. Jost, der als Theologe und wissenschaftlicher Bibliothekar an der Universität Fribourg tätig ist. 1525 liessen sich Mitstreiter des Reformators Huldrych Zwingli in Zürich als Erwachsene wiedertaufen, weil sie zur Überzeugung gelangt waren, dass die christliche Taufe eine Glaubenstaufe des mündigen Menschen sein sollte. In der Folge lehnten sie die Taufe von unmündigen Kindern ab. Weil sie in der Stadt von den Behörden verfolgt wurden, flohen sie ins nahe Zollikon. Dort feierten sie das Abendmahl mit Brot und Wein nach evangelischer Art – ein Novum für die damalige Schweiz. Die erste Täufergemeinschaft war entstanden. Sogleich setzte ihre Verfolgung ein. 1527 ertränkte die Stadtzürcher Obrigkeit den Täufer Felix Manz und fünf seiner Glaubensgenossen in der Limmat. Erst mit der Bundesverfassung von 1874 wurde in der Schweiz die Glaubens- und Gewissensfreiheit eingeführt, und die staatliche Repression gegen die freikirchliche Täuferbewegung fand ein Ende. «Die gesellschaftliche Stigmatisierung hielt jedoch noch lange an», erklärt die Weltwoche.

«Fremd und exotisch»

Täufer wurden oft als fremd und exotisch wahrgenommen», schreibt der Autor in der «Weltwoche»: Vielleicht weil bereits die ersten Täufer aneckten. Sie lehnten es ab, Waffen zu tragen, obwohl beispielsweise im Kanton Bern zeitweise eine Waffentragpflicht beim Kirchgang galt. Sie verweigerten den Kriegsdienst, obwohl das Söldnerwesen in der Schweiz sehr wichtig war. Und sie schworen keine Eide, obwohl sie mitten in der Eidgenossenschaft lebten. Ihre unabhängige Spiritualität und ihre innere Freiheit wirkten auf die einen provozierend und auf die anderen anziehend. Markus A. Jost in der «Weltwoche» weiter: Wäre die Schweiz damals eine freiheitliche, tolerante Gesellschaft gewesen, wären die Täufer vermutlich mit ihrer gesellschaftskritischen Lebensweise nicht vom Staat gezwungen worden, auszuwandern. Während sich der Kanton Zürich zur «Täufer freien» Zone wandelte, etablierten sich die Täufer weltweit als «Exportschlager». Heute ist die Täuferbewegung weltweit verbreitet. Ihre Art, Kirche und Spiritualität unabhängig von Staat und Mehrheitsgesellschaft zu leben, fasziniert und beunruhigt immer noch.

Bild zVg
27. September 2022 | 05:23
von Markus Baumgartner
Lesezeit: ca. 3 Min.
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