Alois Spichtig (1927-2014), Wandrelief von 1984 in der Pfarrkirche Sachseln. Der Strahl vom Himmel teilt und eint die beiden Eheleute zugleich (© Peter Spichtig).
Bruder Klaus und Gefährten

Aufbruch

Am Gallustag 1467 brach er auf. Der 16. Oktober war in Unterwalden Feiertag. Das Vieh ist zurück von den Alpweiden. Das Welken der Blätter, so bezirzend sein optischer Reiz für uns sein mag, ist für den Bauern unerbittliche Warnung. Die Natur stellt sich auf den Winter ein, die Bäume stossen ihre Blätter ab und bereiten sich auf die jährliche Überlebenskrise vor. Das Leben richtet sich nach innen.

Nur die Chilbi und das Martinifest scheinen dem Diktat der Ars moriendi zu trotzen, die die Schöpfungsordnung dem Menschen jährlich unerbittlich und pünktlich vorhält. Diesen Tag hat Niklaus gewählt.

Endlich hatte er die Zustimmung seiner Frau und der ältesten Söhne für sein Vorhaben. Aber worin bestand es? «Gott weiss». Er «musste» gehen. Weit weg, ins «Elend», ins Ausland. Klar ist nur, dass er nicht die Absicht hatte, zurück zu kehren. So sehr Dorothee auch während zweier quälend langen Jahren ins Ringen einbezogen war: Klaus hatte keine Sprache für das, was ihn umtrieb. Er konnte nicht hinreichend artikulieren, was genau es war, das ihn zum Aufbruch bewegte, nicht mal sich selbst gegenüber. Die ‹innere Wucht’ (Manfred Züfle) seiner religiösen Erfahrung, insbesondere der Pilgervision, war überwältigend.

Ein mögliches Zwischenziel könnte La Sainte-Baume, der Wallfahrtsort Maria Magdalenas, gewesen sein. Die Apostola apostolorum, die Jesus so sehr liebte, die Sünderin, die Büsserin, die asketische Einsiedlerin war für ihn wichtige Identifikationsfigur (s. Blog vom 21.7.). Als ideales Fernziel der xeniteia, des Wunsches nach asketischer Heimatlosigkeit, drängt sich Sankt Jakob beim Finstern Stern auf, wie der Volksmund verballhornte: In Cabo Fisterra (lateinisch: finis terrae), am ‹Ende der Erde’ (vgl. Mt 28,19ff; Apg 1.8) also liegt der nach Jerusalem und Rom bedeutendste Wallfahrtsort der damaligen Christenheit.

Wir wissen es nicht. Im Unterschied zu manch zeitgenössischer Motivation fürs neu entdeckte Pilgern aber (vgl. z.B. Hape Kerkelings Bestseller «Ich bin dann mal weg») hatte Niklaus bei aller Unsicherheit dennoch klar Gott vor Augen.

Nein, der Weg ist nicht das Ziel. Aber der Weg bringt für ihn Klärung. Nach und nach.

Die Familie hat seit dem Gallustag 1467 zumindest klare Verhältnisse: er ist weg. Hans, der Älteste, übernimmt. Inhaltlich klar wird es für Dorothee und einige ihrer Kinder auch erst mit der Zeit.

Fr. Peter Spichtig op

Literaturhinweise: Meier 1997, 127-144; Kuster/von Rohr 2017, 61ff.

Alois Spichtig (1927-2014), Wandrelief von 1984 in der Pfarrkirche Sachseln. Der Strahl vom Himmel teilt und eint die beiden Eheleute zugleich (© Peter Spichtig).
16. Oktober 2017 | 10:33
von Bruder Klaus und Gefährten
Lesezeit: ca. 1 Min.
Teilen Sie diesen Artikel!