Gedächtniskirche in Berlin © Vera Rüttimann
Vera Rüttimann

Anschlag in Berlin: Nachricht aus einer verwundeten Stadt

An diesem Tag ist nichts normal in Berlin. Als ich mich heute morgen im Prenzlauer Berg auf  den Weg mache zu meinem Café ist es merkwürdig still in den Strassen. Die Passanten auf den Gehsteigen wirken in sich gekehrt. Der Weihnachtsmarkt an der Kulturbrauerei, an dem sonst Hunderte ihren Glühwein trinken, ist wie lehrgefegt. Angekommen im Café ist es ruhiger als sonst. Der Schock über den Anschlag auf dem Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche liegt wie Mehltau über den Strassen. Berlin ist verwundet.

Es ist kurz nach 20 Uhr gestern Abend, als ich vom vermutlichen Anschlag in der City-West höre. Sofort fragen Freunde über Facebook nach, ob alles in Ordnung ist. Noch am letzten Freitag besorgte ich im KDW, dem grossen Kaufhaus am Kudamm, Geschenkte. Ich bin oft an der Gedächtniskirche, diesem geschichtsträchtigen Gotteshaus mit dem charakteristisch gezackten Kirchturm. Ausgerechnet an diesem Mahnmal für Frieden und Versöhnung geschah nun dieses Unglück.

Andererseits: Angesichts der Terroranschläge in so vielen europäischen Städten hat nur ein Anschlag in Berlin noch gefehlt. Es ist nicht übertrieben zu sagen, dass er von vielen Berlinern geradezu erwartet wurde. Jetzt scheint dieser Tag da zu sein. In vielen Gesprächen mit Freunden und Bekannten scheint eine Hauptschuldige bereits ausgemacht zu sein: Angela Merkel und ihre Flüchtlingspolitik. Die Frage, wie man mit dem Flüchtlingsstrom umgehen soll, sie teilt auch mein Freundeskreis in zwei Lager.

Egal was an diesem Abend passiert ist, es wird Berlin für lange Zeit nicht loslassen und eine Wunde hinterlassen. Trotzdem gilt es nun, einen kühlen Kopf zu bewahren, besonnen zu bleiben und Menschen nicht vorzuverurteilen.

Zudem gibt es so etwas wie den Spirit of Berlin. Berlin ist eine starke Stadt. Nach 1945, 1961 oder in den schwierigen Nachsendejahren nach dem Mauerfall: Immer trauerte die Stadt nach schrecklichen Ereignissen erst tief, schüttelte dann den Staub von den Schultern ab und stand wieder auf. So wird es auch diesmal sein. Genau wie in der lebensfrohen Stadt Paris lebt man hier nach der Devise:  Die, die uns bedrohen, hätten gewonnen, wenn die Leute hier ihre Lebensgewohnheiten ändern würden. Ich bin ganz einig mit dem Berliner Stadtmagazin «Zitty», das heute trotzig schreibt: «Berlin ist die Stadt der Freiheit. Und das bleibt sie auch.»

Gedächtniskirche in Berlin © Vera Rüttimann
20. Dezember 2016 | 15:35
von Vera Rüttimann
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