Erschöpft, müde, ratlos. Wir sind uns nicht gewohnt, Jesus in dieser menschenähnlichen Pose zu sehen, genauso wie es uns schwer fällt, uns Bruder Klaus in seiner grössten Krise vorzustellen. Darstellung von 1525 des Basler Künstlers Urs Graf (um 1485–1528). (© Kunstmuseum Basel)
Bruder Klaus und Gefährten

Alles war wie bisher – nichts war wie bisher

Wann erreicht ein Mensch seinen tiefsten Tiefpunkt? Wenn er von zu Hause aufbricht, Frau und Kinder verlässt? Oder wenn er – nach wenigen Tagen – merkt, dass er nicht mehr weiter kommt? Oder wenn er – wie bei Niklaus von Flüe – an den alten Ort zurückkehrt, aber nicht im Hause, sondern im Stall beim Vieh übernachtet? Ungewöhnlich detailliert erlauben uns zeitgenössische, authentische Quellen intime Einblicke in das persönliche Drama, das Niklaus von Flüe in der zweiten Oktberhälfte 1467 durchlebte. Sein Ausbruch war gescheitert. Da war er wieder.

Glaube und Demut

Alles war wie bisher. Nichts war wie bisher. Ohne seiner Familie etwas von seiner Rückkehr zu erzählen, zog er sich nach der einen Nacht im eigenen Stall bei seinen Tieren auf die Alp Chlisterli zurück, wo ihn Jäger zufällig fanden. Seinem Beichtvater gelang es, denn völlig verunsicherten Mann zu beruhigen und bald darauf zog er in die nahegelegene Schlucht der Melchaa, den Ranft, der ihm seit jeher als Ort des Rückzugs und des Gebets lieb gewesen war.

Welti von Flüe, sein zweitältester Sohn, sprach im Zusammenhang mit dem Abschied des Vaters von einem «Abbruch». Was Niklaus von Flüe in wenigen Tagen durchlebte, war weder eine Lösung, noch ein Prozess, schon gar keine Entwicklung. Es waren härteste Brüche, und dies bei einem 50-jährigen Mann, der für seine Besonnenheit, für seine Ratschläge, für sein Gespür für die (Mit-)Menschen bekannt war. Nichts stimmte mehr.

Wenn er Demut und den Glauben habe, könne er nicht fehl gehen, antwortete er Jahre später dem berühmten Strassburger Prediger Geiler von Kaysersberg auf die entsprechende Frage. Im Glauben steckt das Vertrauen in eine höhere Macht, in der Demut das Bewusstsein der eigenen Grenzen. Nie war Niklaus von Flüe – oder war er da schon Bruder Klaus? – mehr auf Demut und auf Glauben angewiesen, denn in diesen schwärzesten Stunden. Wir sind uns nicht gewohnt, uns Bruder Klaus in seiner grössten Krise vorzustellen. Er fand einen Weg aus dieser Krise, weil er sich vorbehaltlos dem Glauben und der Demut anvertraute.

Roland Gröbli

Erschöpft, müde, ratlos. Wir sind uns nicht gewohnt, Jesus in dieser menschenähnlichen Pose zu sehen, genauso wie es uns schwer fällt, uns Bruder Klaus in seiner grössten Krise vorzustellen. Darstellung von 1525 des Basler Künstlers Urs Graf (um 1485–1528). (© Kunstmuseum Basel)
20. Oktober 2017 | 09:57
von Bruder Klaus und Gefährten
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