Wegzeichen Heimgegangen ©DPSG
Thomas Boutellier

Abschiednehmen von Sidepfötli

Gestern Abend verstarb eine unserer drei Hasendamen. Im stattlichen Alter von sechs Jahren. Die drei Hasen haben wir gekauft, als wir unser Haus bezogen haben und endlich Haustiere haben durften. Jedes Kind hat sich einen Hasen ausgewählt und nun, nach vielen Jahren mehr oder weniger guter Betreuung durch die Kinder, hat die erste der alten Damen diese Welt verlassen. Sofort kamen Fragen auf: Wie verarbeitet man diesen Verlust? Wo wird Sidepfötli begraben, kriegt Sidepfötli einen Grabstein?

Wenn ich als Pfadfinder über den Tod nachdenke, kommen mir immer der Abschiedsbrief von BiPi (Robert Baden-Powell, der Gründer der Pfadfinderbewegung) und das Wegzeichensymbol (auf dem Titelbild), dass sich Pfadfinder manchmal auf den Grabstein machen lassen, in den Sinn. Kann ich diesen Abschiedsbrief  mit dem Auftrag, den BiPi den Pfadis auf der ganzen Welt hinterlassen hat, auch für unsere Hasendame anwenden?
Peter Pan
BiPi beginnt seinen Brief, indem er das Theaterstück «Peter Pan» erwähnt. Der Piratenhäuptling ist ständig dabei, seine Totenrede zu verfassen, in der Angst, er könne das nicht mehr tun, weil er plötzlich stirbt. BiPi nimmt diese Szene zum Anlass, um vor seinem absehbaren Tod eine letzte Botschaft zu hinterlassen.
Jetzt ist Sidepfötli einfach gestorben. Wir haben schon lange gewusst, dass es bald mal so weit sein muss, aber jetzt? Hätten wir nicht noch Zeit gebraucht? Hätten wir, wenn wir es gewusst hätten, nicht noch ein wenig geknuddelt und den besten Löwenzahn gesucht? Warum ist es einfach ohne Ankündigung gegangen?
BiPi nimmt sich die Zeit und bereitet sich auf sein Lebensende vor. Kann seine Botschaft auf die Hasendame Sidepfötli übertragen? Der Anlass, dass uns der Hase so plötzlich verlassen hat, ist eine gute Gelegenheit, die anderen beiden Hasen ein wenig mehr ins Blickfeld zu nehmen. Sie sind nun schon sechs Jahre bei uns und wir haben uns so an sie gewöhnt, dass wir schon nicht mehr jeden Tag an sie denken. So selbstverständlich sind sie geworden.
Glücklich sein und glücklich machen
BiPi schreibt, dass er glücklich gelebt hat und wünscht uns allen, dass auch wir glücklich leben können. Trifft das auch auf unsere Hasen zu? Es ist schwierig zu sagen, denn Hasen geben ja nur bedingt Gefühle preis. Sie haben ein grosses Gehege, immer was zu spielen und Abwechslung im Essen. Sie springen herum und haben alles Holz kaputt genagt. Also schliesse ich daraus, dass sie glücklich sind, dass Sidepfötli glücklich war.
Nun ist es nicht nur das Ziel glücklich zu sein, es ist auch Auftrag glücklich zu machen. Im Abschiedsbrief wird das so umschrieben: Ein wichtiger Schritt zum Glück ist, dass man sich nützlich erweist und andere glücklich macht.
Auf den ersten Blick hinterlassen Hasen nicht wirklich viel Nützliches. Klar, wir hatten weniger Kompost, aber das ist nicht alles. Die Kinder suchten sie sich aus, schauen mehr oder weniger zu ihnen und haben gelernt, was es heisst auf etwas Acht zu geben, dass lebt. Sie spielen mit ihnen und immer, wenn sie nach Hause kommen, sehen sie die Hasen und denken an sie. Sie sind ein wichtiger Teil in ihrem Leben und auch in ihrer Entwicklung. Daher sind die Hasen sehr nützlich, daher hat sich Sidepfötli als nützlich erwiesen.  Und das auch im Tod erweist sich Sidepfötli als Lernfeld: Es kann auf eine ganz spezielle Art Trauer eingeübt werden.
Und haben sie uns glücklich gemacht? Ja, ganz klar. Ich kann mich noch gut an die lachenden Gesichter erinnern, als wir sie nach Hause bringen durften. An die vielen Schulgspänli, welche im Garten standen und die Hasen angestaunt haben. Klein wie sie waren. Sie haben uns oft ein Lächeln aufs Gesicht gezaubert. Auch heute noch, jeden Tag, dazu aber später.
Die Schöpfung bewundern und bewahren
«Das Studium der Natur wird Euch all die Schönheiten und Wunder zeigen, mit denen Gott die Welt ausgestattet hat» schreibt BiPi weiter in seinem Abschiedsbrief. Ja, die Hasen haben uns ein ganz eigenes Bild von Schöpfung vermittelt. Schön sind sie anzuschauen, sie haben täglich mit ihrem Buddeln die Natur ein wenig verändert und die schönsten Blumen wachsen in dem Ecken, in dem sie ihr «Geschäft» verrichten. Und so konnten die Kinder genau das einüben: bewundern und bewahren.
«Versucht, die Welt ein bisschen besser zurückzulassen, als Ihr sie vorgefunden habt»
Dieser Satz, der die Pfadis mehr prägt als das «Allzeit bereit», ist ein täglicher Auftrag. Bei all meinen Taten muss ich mich fragen, ob ich dies gemacht habe. «Aber das ist doch nicht möglich!» höre ich oft, wenn ich diesen Satz sage. Dann denken viele an Weltfrieden, Abschaffung der Armut etc. So hat das BiPi nicht gedacht. Er meinte damit nicht die grossen Taten. Es sind die kleinen Taten, die uns dieses Motto, das nicht nur Pfadfindern gut ansteht, leben lassen.
Auftrag erfüllt?
Hat Sidepfötli nun den Auftrag im Sinne von BiPi erfüllt? So wie es die Pfadis auf der ganzen Welt versuchen? Und nicht nur sie, sondern die meisten Menschen auf dieser Erde, auch wenn sie den Abschiedsbrief nicht kennen? Ich habe oft gestaunt und gelächelt, wenn ich sie gesehen habe. Ja, schon nur das Lachen in den Gesichtern der Kinder war Erfüllung genug. Und in diesem Moment haben sie meine Welt ein bisschen besser gemacht. Ja, die Hasendame hat ihren Auftrag erfüllt!
Ritual
Auf dem Bild sieht man ein Wegzeichen. Ein Wegzeichen, das Hoffnung gibt. Wären meine Kinder kleiner, würden sie fragen: Wo ist Sidepfötli jetzt? Und ich würde die Floskel: «im Himmel» gebrauchen. Nun sind sie grösser und es braucht etwas mehr an Erklärung, um den Tod zu verarbeiten. Das Wegzeichen heisst: «heimgegangen» oder «Auftrag erfüllt, bin nach Hause gegangen». Es ist sehr tröstliches Zeichen, wenn es mit dem Tod verbunden wird. Der oder die Tote ist nach Hause gegangen. Zuhause, das ist ein Ort, an dem ich mich geborgen, wohl fühle, wohin ich gehe, um mich zu erholen, aufzutanken. Und dieser Ort ist auch dort, wo Gott uns in Empfang nimmt. Mensch und Tier. Dort werden wir uns wohlfühlen. Sidepfötli hat ihren Auftrag erfüllt und ist heimgegangen. Mit den Kindern werden wir nun die Steine beschriften und aufschreiben, was Sidepfötli alles getan hat, um uns glücklich zu machen, was Sidepfötli bewirkt hat. So können wir Abschied nehmen.
Und wie sag ich›s dem Hund?
Das grössere Problem ist unser Hund Delya. Sie hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Hasen «zu Bett» zu bringen. Jeden Abend müssen wir die Hasen füttern und sie bellt sie dann ganz leise ins Häuschen. Auch wenn die Hasen längst nicht mehr ins Häuschen gehen, wenn Delya kommt, sie kann nicht schlafen gehen ohne dieses Ritual. Und wie bringe ich ihr nun bei, dass es nicht mehr drei sind und wahrscheinlich bald auch keine Hasen mehr da sind, um «ins Bett» gebracht zu werden?
http://www.scout-o-wiki.de/index.php/Abschiedsbrief_an_die_Pfadfinder_der_Welt

 

Wegzeichen Heimgegangen ©DPSG
19. Oktober 2016 | 14:04
von Thomas Boutellier
Lesezeit: ca. 4 Min.
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