Karin Reinmüller

Bete und putze

Neulich nach dem Morgengebet im Stadtkloster: Während wir in unserer engen Küche das Frühstück vorbereiten, entwirft jemand mit Blick auf den Boden ein neues Bild von Erlösung: Im Paradies ist Putzen überflüssig, weil nichts mehr dreckig wird. Anders gesagt, der zweite Hauptsatz der Thermodynamik (der dafür sorgt, dass alles, auf das keine Extra-Energie verwendet wird, immer unordentlicher wird) würde dort ausser Kraft gesetzt. Was sofort die Frage aufwirft, wenn in der neuen Schöpfung eine neue Physik gelten soll, müsste dann nicht auch eine andere Mathematik gelten? Und, könnte es überhaupt noch irgendetwas uns Vertrautes geben, wenn zwei plus zwei nicht mehr selbstverständlich vier wäre? Zum Glück einigen wir uns vor dem Absturz ins völlig absurde Spekulieren darauf, die erwartete dauerhafte Sauberkeit des Paradieses (zumindest in dessen Schweizer Abteilung) auf die neuen Augen zurückzuführen, mit denen wir dann alles sehen werden.

Es gibt wenige Konstanten im Stadtkloster-Leben, die Gebetszeiten (»Tagzeitengebete» heissen sie hier) sind eine davon. Genauer gesagt ist die Bereitschaft, fünfmal pro Woche gemeinsam zu beten, verpflichtend, um festes WG-Mitglied zu werden. Die Aussicht darauf, fast jeden Tag zu Zeiten und auf eine Weise, die andere festgelegt haben, die Begegnung mit Gott zu suchen, ist nach meinem Eindruck ein nicht ineffizienter (wenn auch nie so geplanter) Interessent:innen-Test – wer das realisiert und immer noch bleiben will, die schreckt auch die tägliche Bestätigung des zweiten Hauptsatzes auf unserem Küchenboden nicht ab.

Warum machen wir das? Es gibt viele Gemeinschaften, die ohne gemeinsames Gebet gut funktionieren, auch einige Ordensgemeinschaften geben dem Engagement den Vorrang und beten nicht regelmässig zusammen. Nach immerhin zehn Jahren lassen sich schon historische Gründe anführen – ohne den Wunsch einiger Menschen nach regelmässigem gemeinsamem Gebet würde es das Stadtkloster wohl nicht geben. Aber ohne den Wunsch der WG-Bewohner:innen nach spirituellem Gruppen-Frühsport würde der zumindest deutlich weniger intensiv gepflegt. Und vermutlich kann jeder Sport-Coach nachvollziehen, dass wir die Meditations-Motivation leichter finden, wenn wir wissen, da sitzen auch andere. Das ist eine gute Sache – und macht es sogar wett, dass die anderen meiner Meinung nach mitunter hochgradig seltsame Vorstellungen davon haben, wie wir beten sollen, und die dann auch noch durchziehen! Immerhin, beim Küchenboden-Fegen darf ich allein bestimmen 😉

Bildquellen

  • : Bild: Oliver Hale auf Unsplash
27. Februar 2023 | 14:42
von Karin Reinmüller
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