Markus Baumgartner

Wirtschaftlich interessante Flüchtlinge

Wie die Hugenotten den Aargau geprägt haben: Das nun eröffnete Teilstück des internationalen Hugenotten- und Waldenserwegs von Frankreich nach Deutschland im Kanton Aargau erzählt Geschichten der Glaubensflüchtlinge aus Frankreich. Sie haben nicht nur ihren Glauben, sondern in die landwirtschaftlich geprägten Gebiete auch wertvolle Handwerkberufe gebracht. 

Ihr Glaube ist stark von der Lehre Johannes Calvins beeinflusst. Die Hugenotten wurden in Frankreich vor allem im Mittelalter stark verfolgt. König Ludwig XIV. erliess 1685 das Edikt von Fontainebleau, das faktisch die Ausübung des protestantischen Glaubens in Frankreich untersagte. Man schätzt, dass rund 170’000 Glaubensflücht- linge ihre Heimat auf versteckten Wegen verlassen. Dies stets in Gefahr, erwischt oder hart bestraft zu werden. Davon wurden rund 70’000 in der Schweiz als erstes Zufluchts- und Transitland aufgenommen. Die reformierten Orte zeigten sich zwar solidarisch mit den «vertriebenen Glaubensgenossen», waren aber auf eine derart grosse Zahl nicht vorbereitet. Sie einigten sich auf einen Verteilschlüssel, dass Bern 32%, Zürich 23%, Basel 14,5%, Schaffhausen 13%, St. Gallen 7%, Appenzell Ausserrhoden 3,5%, Biel und Mülhausen je 2% der Flüchtlinge aufnehmen sollte. Es dürften sich rund 20’000 Hugenotten dauerhaft in der Schweiz niedergelassen haben. 

Wanderweg für alle

«Auf den Spuren der Hugenotten und Waldenser» ist ein internationaler und vom Europarat anerkannter Kulturweg auf über 1800 Kilometern. Der ganze Weg führt von Südfrankreich und dem Piemont aus über die Schweiz bis nach Deutschland. Er zeigt, wohin die Flüchtlinge überall fliehen konnten und erzählt viele Geschichten. Jetzt wurde ein Teilstück im Kanton Aargau eröffnet, wie Radio SRF, die Aargauer Zeitung und weitere Lokalzueitungen berichteten. Der Hugenottenweg führt von Aarburg – wo viele Flüchtlinge von Bern auf der Aare herkommend ausstiegen – über Zofingen, Aarau, Suhr, Schafisheim, Lenzburg, Brugg, Mellingen nach Spreitenbach und Zürich. Von dort geht er weiter in Richtung Schaffhausen und Deutschland. Auf dem Wanderweg von Schafisheim nach Lenzburg auf zehn Kilometern erklären Informationstafeln an sechs Stationen historische Zusammenhänge und Zeugnisse der Flüchtlinge. Startpunkt des Weges ist die Kirche Schafisheim. Endpunkt bildet das Museum Burghalde in Lenzburg mit einer Ausstellung mit Exponaten von Hugenotten aus der Region.

Reiche Hinterlassenschaft

Zu den geflüchteten Hugenotten gehörten zahlreiche Geschäftsleute und talentierte Handwerker. Von den Schweizer Obrigkeiten wurde die Ansiedlung jener Flüchtlinge, die für die Wirtschaft von Nutzen sein konnten, gezielt gefördert. Als Handwerk wurde von den Hugenotten die Seidenweberei, die Strumpfwirkerei und der aus Indien/Ostasien stammende Indienne-Druck eingeführt. Letztere Technik – das Bedrucken von Baumwollstoffen mit farbigen, waschechten Mustern – erlebte ab Beginn des 18. Jahrhunderts eine hundertjährige Blütezeit. 

Familien Brutel, Plüss und Ringier

Auch die aus Südfrankreich in die Schweiz geflohene Hugenottenfamilie Brutel de la Rivière wurde im Textilgewerbe aktiv. Die Söhne Etienne und Samuel Brutel eröffneten um 1720 in Zofingen eine Indienne-Druckerei. 1736 waren sie in der Lage, die Herrschaft Schafisheim mit Schloss zu erwerben. An der Südseite des Schlosses errichteten sie einen Anbau für den Indienne-Druck – das heutige Schlössli – und verlegten ihre Manufaktur dorthin. 1755 wurden 10’200 baumwollene Tücher gebleicht und 10’450 Tücher bedruckt. Samuel verliess die Firma später und baute 1766 in Aarau im Gegenzug für die Verleihung des Bürgerrechts eine Seidenbandfabrik auf.

«Auf dunkle Geschichte kann Positives folgen»

Für die Hugenottenfamilie Familie Brutel de la Rivière spielte der Glaube eine zentrale Rolle. Sogar ein Rechnungsbuch ist mit dem Satz «Au Nom de Dieu le tout soit fait» überschrieben. Dass die Hugenotten einen wichtigen Aspekt der regionalen Geschichte sind, zeigt auch die aus Nîmes zugewanderte Familie Plüss. Sie stellte einmal nahezu einen Drittel der Bevölkerung der Region. Auch die Ringiers stammen von Hugenotten ab: Jean Régnier, ein Küfer aus Nîmes, hatte sich 1527 in Zofingen niedergelassen und wurde zum Ringier-Stammvater. Der Aarauer Stadtpräsident Hanspeter Hilfiker regte dazu an, den neuen Themenweg dazu zu nutzen, über aktuelle Migrationsbewegungen nachzudenken. «Auf eine dunkle Geschichte kann etwas Positives folgen», erklärte Hilfiker im «Badener Tagblatt». Damit dies gelinge, brauche es eine offene Gesellschaft. 

Bild «Protestantische Flüchtlinge» von Albert Anker, Quelle Privatsammlung
20. Juni 2021 | 10:54
von Markus Baumgartner
Lesezeit: ca. 3 Min.
Teilen Sie diesen Artikel!