Karin Reinmüller

Wie die Leseordnung ein Happy End erzeugte

Psalm 40 ist der für diesen Sonntag vorgesehene Psalm. Genauer gesagt: Psalm 40, die Verse 2 u. 4ab.7-8.9-10 – sagt die Leseordnung. Der Psalm hat 18 Verse. Darunter so schöne wie «Ohren hast Du mir gegraben» und «Siehe, ich komme – deinen Willen zu tun, mein Gott, war mir Gefallen». Die sind natürlich auch im vorgesehenen Text für diese Sonntagsgottesdienste enthalten.

Aber der Psalm geht weiter: Vers 13 «Leiden ohne Zahl haben mich umfangen», «der Mut hat mich verlassen» und am Ende in Vers 18: «Mein Gott, säume doch nicht!» Das ist ein ganz anderer Ton als in der ersten Hälfte des Psalms – die allein in den Gottesdienst soll.

Man kann das damit begründen, dass Psalm 40 aus zwei unterschiedlichen Texten zusammengesetzt wurde und nur einer davon, der erste, optimistische, verwendet wird. Allerdings ist der Psalm jetzt einer, bei dem die Künstlerin zwei vorliegende Kunstwerke kombiniert und sie damit verfremdet, ihnen einen neuen Sinn gegeben hat – einen, der nicht mit dem Happy-End-Klang der ersten Hälfte zusammenpasst.

Komplett gelesen ist der Psalm das Gebet eines Menschen, der erst öffentlich von Gottes Beistand spricht, von der Erfahrung seiner Hilfe – und der dann ebenso öffentlich wieder in Leid, Grauen und Ablehnung durch seine Mitmenschen gerät. Und nicht mehr davon spricht, Gottes Willen tun zu wollen, sondern Gott anfleht «Es gefalle dir, Herr, mir zu helfen!». Es gibt Hoffnung – aber kein Happy End.

So etwas passiert. Vielleicht nicht jedem Menschen, aber oft genug, dass diese Erfahrung ihren Weg ins Buch der Psalmen gefunden hat. Und es hätte der Leseordnung wohl nicht geschadet, wenn sie den Realismus dieses Psalms erhalten hätte, anstatt ihn so zurecht zu schneiden, dass er vermeintlich weniger Probleme macht.

So sieht man nur die Hälfte... Bild: Pezibear/pixabay
18. Januar 2020 | 19:42
von Karin Reinmüller
Lesezeit: ca. 1 Min.
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